Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
die Absicht hatte, mich ernsthaft zu verletzen. Er wollte mich
nur kurzfristig aus dem Verkehr ziehen. Die Flasche ist noch nicht
einmal dabei zersprungen.»
Spaurs Augenbrauen
wanderten aufwärts. «Was soll das heißen,
Commissario?»
«Dass ein
angeblicher Serienmörder sich scheut, einen Commissario der
venezianischen Polizei ernsthaft zu
verletzen.»
«Angeblicher Serienmörder?»
«Ich glaube nicht, dass er der Mann ist, den wir
suchen.»
«Und die
Beweise? Die Messer und die Lederriemen?»
«Könnten
ihm untergeschoben worden sein», sagte Tron.
«Von
wem?»
«Vom Oberst
höchstpersönlich.»
«Das ist
lächerlich, Commissario», sagte Spaur. Um zu
demonstrieren, wie lächerlich er es fand,
lächelte er kurz, während er sich eine neue Tasse Kaffee
einschenkte.
Tron hob die
Schultern. «Das Problem ist, dass der Ausweider ein
Doppelleben fuhrt. Dass sich hinter einer völlig normalen
Fassade ein Monstrum versteckt. Bemerkenswert», fuhr er fort,
«finde ich auch, mit welcher Fassung der Oberst die Flucht
von Signor Sorelli trägt.»
«Was soll das
heißen?»
«Signor Sorelli
wird — falls er denn auf dem Dampfer nach Triest war —
versuchen, sich nach Frankreich abzusetzen. Da wäre er in
Sicherheit, was Stumm von Bordwehr nur recht sein
kann.»
«Warum sollte es
ihm recht sein?»
«Weil es dann
nicht mehr zu einer Verhandlung kommt. Auch vor einem
Militärgericht weiß man nie, was
passiert.»
Spaurs Stimme klang
unwirsch. «Dann wird es eben zu keiner Verhandlung kommen.
Jedenfalls ist der Fall für die Militärbehörden
zunächst erledigt. Und um eine Angelegenheit der Questura
handelt es sich ohnehin nicht. Wo ist also das
Problem?»
Tron seufzte.
«Das Problem besteht darin, dass Signor Sorelli unschuldig
sein könnte. Dann ginge das Morden weiter.»
Spaur schüttelte
den Kopf. «Wenn Ihre Theorie stimmt, Commissario, dass es
sich bei dem Mörder um den Oberst handelt, dann wird er kaum
weitermorden. Denn das würde ja zeigen, dass Signor Sorelli
unschuldig ist.»
«Dass Signor
Sorelli den Dampfer nach Triest benutzt hat, ist lediglich eine
Vermutung.»
«Was soll das
heißen?»
«Der Oberst
könnte weitermorden und behaupten, Signor Sorelli halte sich
immer noch in der Stadt auf.»
Aber das war ein
Argument, das Spaur wenig beeindruckte, denn er war mit seinen
Gedanken bereits woanders. Er hatte Bossis Bericht zugeklappt und
zur Seite geschoben. Jetzt befand sich nur noch die Schachtel mit
dem Demel-Konfekt im Zentrum des Schreibtisches - direkt vor dem
Bild von Signorina Violetta, mit der Spaur einen kurzen
Blickkontakt aufgenommen hatte.
«Es
wäre», sagte Spaur mit gleichgültigem
Schulterzucken, «in jedem Fall eine Angelegenheit der
Militärbehörden.» Er fischte ein weiteres
Praliné aus der Schachtel und wickelte es aus. «Sehe
ich Sie morgen Abend,
Commissario?»
«Wie
bitte?»
Spaur sah Tron
nachsichtig an. «Der Maskenball. Seit zwei Tagen redet die
Baronin von nichts anderem.»
Ach, richtig. Der
Maskenball der Contessa. Tron hatte Schwierigkeiten, dem abrupten
Themenwechsel zu folgen. «Ich denke schon», sagte Tron,
«dass Sie mich sehen werden. Dieser Verband lässt sich
erheblich verkleinern.» Dachte er jedenfalls. Und wenn nicht,
wäre er gezwungen, auch auf dem Maskenball der Contessa den
Helden zu geben - vielleicht keine schlechte Idee.
Spaur nahm einen
Schluck aus seiner Tasse. Dann fragte er: «Demaskierung um
Mitternacht? Wie üblich?»
Tron nickte.
«Wie üblich.»
Spaur lächelte
stolz. «Ich glaube nicht, dass Sie mich erkennen werden. Ich
gehe als ...» Er unterbrach sich, weil er noch rechtzeitig
bemerkt hatte, dass seine Maskierung darunter leiden würde,
wenn sie vorher bekannt war. Er räusperte sich. «Werden
wir das Vergnügen haben, dem Comte de Chambord auf dem
Maskenball zu begegnen?» Eine Frage, die Signorina Violetta
heute Nachmittag zweifellos stellen würde.
Tron hob die
Schultern. «Der Comte hat zugesagt. Ich sehe keinen Grund,
warum er wieder absagen sollte. Zumal er ein Interesse daran hat,
Normalität zu demonstrieren.»
Spaur nickte.
«Ebenso wie die Kommandantura Normalität demonstrieren
möchte.» Er sah Tron an. «Sie wissen doch
Bescheid, oder?»
Tron runzelte die
Stirn. «Worüber sollte ich Bescheid
wissen?»
«Toggenburgs
Gattin ist erkrankt», sagte Spaur. «Der Stadtkommandant
wird sich von einem seiner Offiziere auf den Maskenball begleiten
lassen.» Spaur lehnte sich auf seinem Sessel zurück
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