Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
Der selbst liebte es
nicht, beim Reden beobachtet zu werden, wurde aber sofort
nervös, wenn er ihn nicht sehen konnte.
Während er auf
seiner Seite nie mehr als drei rosette, ein wenig Marmelade
und eine bereits eingeschenkte Tasse Kaffee vorfand, bog sich die
Seite der Tafel, auf der der padrone saß, unter der Last von
frischen Früchten, Schinken, Rührei und Kaviar.
Selbstverständlich sorgte ein livrierter Lakai dafür,
dass die Kaffeetasse des padrone gefüllt blieb und die
abgegessenen Teller sofort entfernt wurden. Dass ihn der affige
Lakai hartnäckig ignorierte, hatte ihn anfangs verdrossen,
inzwischen aber war er daran gewöhnt. Hin und wieder trank
der padrone Champagner zum Frühstück
— unter dem medizinischen Vorwand, die Körpersäfte
in Schwung zu bringen. Nicht dass er Wert darauf gelegt hätte,
ebenfalls zum Frühstück Champagner zu trinken, aber es
lag etwas Kränkendes in dem Umstand, dass man ihm nie ein Glas
angeboten hatte.
Heute Morgen hatten
sie lange über Schuld und Gnade diskutiert — kein
Wunder, wenn man sich vergegenwärtigte, in welcher
Gesellschaft der padrone seine Nächte verbrachte. Was
war, hatte der padrone mit weinerlicher Stimme gefragt,
wenn übermächtige Triebe einen Menschen dazu brachten,
Dinge zu tun, die gegen christliche Grundsätze
verstießen? Hatte nicht der Allmächtige selbst, ohne
dessen Willen sich kein Grashalm bewegte, ihm solche Triebe
eingepflanzt? War ER nicht daran schuld? Was würde
mit einem solchen Menschen geschehen, wenn er dereinst vor
den Thron
des Herrn -
so wörtlich - trat? Würde auch über ihm die Gnade des
Herrn - so
wörtlich - leuchten, oder würde ihn ewige Verdammnis
erwarten?
Dazu hätte er
einiges sagen können - gewissermaßen aus
persönlicher Erfahrung. Er hatte kurz mit dem Gedanken
gespielt, das Buch des Baseler Professors zu erwähnen - diese
Geschichte mit den kopulierenden Griechen doch dann unterließ
er es lieber. Mit komplizierten Gedankengängen war hier kein
Blumentopf zu gewinnen. Er wusste nur zu gut, dass er seine
Position hauptsächlich seiner Fähigkeit verdankte, das
auszusprechen und in gefällige Worte zu kleiden, was
seinem padrone durch den Kopf ging — und
das war fast immer krauses Zeug.
Natürlich hatte
er den padrone beruhigt. Die Gnade des Herrn,
hatte er ihm versichert, werde auch über Seiner Hoheit
leuchten! Eine Deportation in das glühende Sandfeld des
dritten Höllenkreises sei durchaus nicht zu erwarten.
Außerdem, hatte er hinzugefügt, lasse sich dieser Gefahr
immer noch durch ernsthafte Gebete wirksam entgegentreten. Worauf
der padrone erleichtert eine weitere Flasche
Champagner öffnen ließ und er sich mit einer tiefen
Verbeugung entfernte. In den letzten Tagen war ihm klargeworden,
dass er diesen Mann, der ihm anfangs einen gewissen Respekt
eingeflößt hatte, aus tiefster Seele
verachtete.
Den Tag hatte er damit
verbracht, ohne ein bestimmtes Ziel durch die Stadt zu schweifen.
Wieder hatte er das Gefühl gehabt, sich durch eine
Theaterkulisse zu bewegen. Ob die Stadt auch außerhalb der
Karnevalssaison diesen leichten Rausch erzeugte, der einem das
Gefühl gab, alles wäre erlaubt?
In den Cafés,
die er besucht hatte, waren ihm massenweise leckere
Zitronentörtchen begegnet, die nur darauf warteten, verspeist
zu werden. Es war auch keine Überraschung, dass sich das Tier
in ihm zweimal zu Wort gemeldet hatte. Besser gesagt: Es hatte
zweimal ein lautes Jaulen ausgestoßen, sodass er sein Gesicht
blitzschnell hinter einer Zeitung verstecken musste, um den
Ausdruck blutrünstiger Begierde zu verbergen.
Obgleich er das Tier
gut verstanden hatte. Die junge Engländerin, die im
Café Oriental am Nebentisch Platz genommen hatte — es
gab immer mehr Frauen, die sich ohne Begleitung in ein Café
setzten —, war blond, hatte grüne Augen, und ihre Blicke
hatten sich mehrmals getroffen, bevor er gezwungen gewesen war,
sein Gesicht hinter der Gazzetta di Venezia zu verstecken.
Zitronentörtchen Nummer zwei hatte neben ihm auf der Piazza
eine Tüte mit gerösteten Maronen gekauft, und sie hatten
tatsächlich angefangen zu plaudern — jedenfalls bis er
gezwungen gewesen war, das Gespräch mitten im Satz abzubrechen
und den Kopf abzuwenden. Danach hatte er sich selbst der albernen
Vorstellung hingegeben, wie es denn gewesen wäre, länger
mit ihr zu sprechen, sie anschließend in eine dunkle Ecke des
Markusdoms zu lotsen, um dort zur Sache zu kommen.
Doch dies wäre
auf eine schnelle Nummer
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