Conan-Saga 20 - Conan von den Inseln
Kraft verleihen.
In der Kajüte herrschte gespenstische Düsternis. Die Wände waren mit seltsamen, purpurnen Teppichen behängt, von denen gräßliche Dämonenfratzen höhnten. Auf einem ganz niedrigen Tischchen von ungewöhnlicher Form stand eine mit dunkler Flüssigkeit gefüllte Kristallkaraffe. Conan stolperte auf sie zu und leerte sie.
Die Flüssigkeit schmeckte wie Wein, war jedoch stärker als jeder, den er bisher gekostet hatte. Conan spürte, wie wohlige Wärme ihn durchzog und sich neue Kraft in ihm ausbreitete. Doch da schien ihm das Blut zu stocken, denn neben seidenen Vorhängen an der Wand schwebte der Mann, den er gerade erst getötet hatte!
Ja, es war zweifellos der gleiche Mann, denn die rötliche Kettenrüstung war über dem Herzen aufgerissen, genau da, wo Conans Klinge eingedrungen war, und Blut sickerte aus der Wunde. Ohne auf den wie erstarrten Cimmerier zu achten, zog die geisterhafte Gestalt die Vorhänge zur Seite und offenbarte so eine Nische, in der eine kleine silberne Truhe stand. Während Conan sie beobachtete, hob die durchscheinende Gestalt die Truhe auf und trat mit ihr zu dem Fenster an der hinteren Kajütenseite. Die Diamantscheibe öffnete sich und gewährte einen Blick auf die schäumende blaue See und einen Teil des Schiffsrumpfes des Roten Löwen. Das Phantom wollte gerade hinaus in die Wogen steigen, als Conan durch die Kajüte stürmte und schnell die Arme um die rauchige Gestalt und die Truhe klammerte, die sie mit sich ins tiefe Meer nehmen wollte.
»Was machst du denn, Amra?« rief Sigurd hinter ihm. Der Vanir und der Kushit hatten soeben die Kajüte hinter Conan betreten.
Des Cimmeriers blutiger Arm, den er um des Zauberers Mitte geschlungen hatte, drang durch den hageren Leib, als wäre er aus Dunst. Doch die Silbertruhe war kein Phantom, und Conan entwand sie dem Griff des Geistes. Der durchscheinende Zauberer stürzte aus dem Fenster. Im Fallen drehte er sich und bedachte Conan mit einem Blick tödlichen Hasses. Dann war er in den Wogen verschwunden.
Conan blieb kurz schwankend am Fenster stehen. Er drückte die Truhe an sich und versuchte sich zu fassen, um die Fragen zu beantworten, mit denen Sigurd und Yasunga ihn überschütteten. Für sie war der Geist des Zauberers nicht sichtbar gewesen. Sie hatten lediglich gesehen, daß die Truhe sich wie von selbst aus der Nische erhob und zum Fenster flog und daß Conan ihr nachsetzte und sie packte.
Doch noch ehe er ihnen eine Erklärung abgeben konnte, waren Schritte vor der Kajüte zu hören und Goram Singhs brüllende Stimme: »Käp'ten! Vorderkastell und Laderaum sind leer – nicht eine Spur von Beute irgendwo – und das Schiff sinkt. Das Deck ist schon unter Wasser! Wir müssen zum Roten Löwen zurück!«
Conan blickte hinunter auf die kleine Silbertruhe. Sie war das einzige Beutegut von der grünen Galeere. Sie war der Schatz, dessentwegen das Zauberschiff vor den Piraten geflohen war. Um sie zu beschützen, hatte der Zauberer gekämpft und war gefallen ...
8. Die Truhe aus Atlantis
8
DIE TRUHE AUS ATLANTIS
Wo sterbende Sonnen blutrot untergehen,
wo alle Himmel enden,
ferne Inseln der Legenden stehen
mit windumtosten Stränden,
Aus Die Gesichter des Epemitreus
Mit der Silbertruhe unter dem Arm schwang sich Conan über die Relings der beiden miteinander verbundenen Schiffe, und sein langes Breitschwert in der Scheide schleifte klappernd über das Holz. Gleichzeitig mit ihm sprangen Sigurd und der stämmige Vendhyaner, Goram Singh, auf die Karracke. Die Männer lösten bereits die Enterhaken aus dem Holz der Galeere und rollten die daranhängenden Seile auf.
»Ablegen!« brüllte Conan.
Scharrend trennten sich die beiden Schiffe voneinander, und bald lag eine Speerwurfbreite schäumenden Wassers zwischen ihnen. Die Galeere hatte sich durch das Loch, das der Bug der Karracke ihr geschlagen hatte, mit Wasser gefüllt, und die Wellen spülten über ihre Planken. Nur ihre Masten und sowohl Vorder- als auch Achterdeck ragten noch aus dem Wasser, auf dem einzelne Trümmerstücke schaukelten. Da sie keine schwere Ladung hatte, die sie auf den Meeresgrund ziehen konnte, trieb sie vielleicht halb unter Wasser monatelang so dahin – und würde zur Bedrohung für andere Schiffe, sofern es in diesen Breiten welche gäbe –, bis Wind oder Strömung sie schließlich an einer Küste zerschlugen.
»Großsegel hissen!« befahl Conan. »Mars- und Besansegel festmachen. Zwei Strich Steuerbord in
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