Conan-Saga 46 - Conan der Beschützer
obwohl es für Conans Geschmack etwas zu voll war – ebenso wie ihre Figur.
Erst jetzt bemerkte der Cimmerier den schlaksigen Burschen – nein, trotz der Tolpatschigkeit war es ein Mann, der neben Lady Doris stand. Trotz der Tunika aus blauer Seide und den Goldsandalen wirkte er wie ein beflissener Diener.
Das war zumindest Conans erster Gedanke. Dann sah er, daß der Mann – es mußte Harphos sein – Palast und Gärten scharf musterte. Der Blick war nicht leer und entsprach nicht der Rolle des Idioten, die er absichtlich zu spielen schien, sondern war zielgerichtet. Conan hatte diese Blicke bei erfahrenen Dieben gesehen, wenn sie ein Haus studierten, das sie ausrauben wollten.
»Wenn ich recht verstehe, gab es Schwierigkeiten«, sagte Lady Doris. Ihre Stimme ließ Conan aufhorchen. Sie klang, als schlüge man ein gutes Schwert gegen einen Felsblock. »Aber ich verstehe nicht – warum? Deine Botschaft war nicht sehr aufschlußreich. Hat der Zauberer wieder zugeschlagen?«
Sie sprach das Wort ›Zauberer‹ wie eine Beleidigung aus. Conan sah, daß Livias Nasenflügel bebten, auch die von Harphos.
»Mutter, sie – oh, Lady Livia – konnte ja nicht die ganze Geschichte schreiben. Ich meine – es hätte doch dann jeder lesen können und ...«
»Also wirklich!« unterbrach ihn Doris. Harphos Mund blieb noch kurz offenstehen, ehe er ihn schloß. Conan sah, daß er wie ein kleiner Junge rot wurde. Trotzdem konnte sich der Cimmerier des Eindrucks nicht erwehren, daß Harphos mehr Verstand hatte, als er zeigte – oder seine Mutter ihn zeigen ließ. Es war bestimmt keine dumme Idee, mit dem Mann einmal allein zu reden, falls man nicht unter Lady Doris' Rock kriechen mußte, um ihn zu finden!
»Das ist wahr«, pflichtete Livia Harphos bei. »Deshalb bitte ich euch, ins Haus zu kommen. Was wir zu besprechen haben, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.«
»Aber hier ist doch niemand, abgesehen von der Sonne am Himmel«, erklärte Doris.
»Aber die Sonne ist heiß«, entgegnete Livia lächelnd. »Vielleicht werden unsere Worte auch ohne sie sehr hitzig.«
»Ach wirklich?« sagte die ältere Frau. Ihre dicken schwarzen Brauen zogen sich zusammen, ebenso wie ihre Lippen.
Conan hatte den Eindruck, daß Livia ihm zugenickt hatte. »Mylady, Ihr beleidigt dieses Haus«, sagte er. »Fürchtet Ihr etwa um Eure Sicherheit da drinnen?«
Doris warf ihm einen empörten Blick zu. »Wer ist denn dieser flegelhafte Muskelprotz?«
»Hauptmann Conan ist ein freier Söldner, der mit seinen Männern dem Haus Damaos dient«, erklärte Livia und schnitt der aufgebrachten Doris die Rede ab, als teile sie einen Apfel mit einem Silbermesser. »Ohne seine Hilfe wäre der Plan desjenigen, der mich entführen wollte, sicher geglückt.« Ihre Stimme ließ keinen Raum für Mißtrauen.
Wieder war Doris sprachlos. Zum Glück bewies Harphos so viel Verstand, die Gelegenheit sofort auszunützen – anscheinend hat er darin Übung, dachte Conan.
»Mutter, ich kann mir nicht vorstellen, daß dir in diesem alten und vornehmen Haus irgendeine Gefahr drohen könnte. Wenn du eintreten möchtest, werde ich mich um die Diener kümmern. Wen möchtest du mitnehmen?«
Doris erkannte, daß sie ihrer Gegnerin den Sieg auf einer Silberplatte darreichte, wenn sie weiterhin mit offenem Mund hier stehenblieb. Sie ratterte ein halbes Dutzend Namen herunter. Harphos nickte und ging.
Conan verneigte sich formvollendet. »Mylady, mit Eurer Erlaubnis möchte ich Lord Harphos begleiten und mich um das Wohl der Dienerschaft des Hauses Lokhri kümmern.«
Livia nickte. Doris blickte den Cimmerier an, als hätte sie ihren Sohn lieber einer Giftschlange anvertraut als ihn. Doch da reichte ihr Livia bereits den schlanken Arm. Ihr blieb keine Wahl. Sie mußte ihn nehmen und mit ihrer Gastgeberin durch die große Eingangstür in den Palast treten.
Conan wartete nicht, bis die beiden Frauen verschwunden waren, sondern lief schnell die Stufen hinab. Danach hatte Harphos Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Doch gleich darauf wurde der Cimmerier langsamer. Er mußte den jungen Mann bei Laune halten, wenn er ihm die Zunge ohne die Hilfe des Weins lösen wollte.
Nicht daß Conan Skrupel gehabt hätte, den Lord mit Wein abzufüllen, wenn es nötig gewesen wäre. Doch selbst so ein Tor wie Harphos würde mißtrauisch werden, wenn man ihm zu viele Becher zu schnell einschenkte.
Die beiden edlen Frauen verbrachten den Großteil des Nachmittags allein. Als Doris wieder
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