Conan-Saga 47 - Conan das Schlitzohr
Drachen. Draußen reckte und streckte er sich und ging gähnend durch die verlassenen Straßen von Sicas. Auf dem Platz tauchte der Mond die Marmormonumente in Silber. Im Norden zeigte ein rötlicher Schein an, daß der Brand noch nicht ganz gelöscht war.
Im Tempel suchte er auf der Galerie im ersten Stock sein Zimmer auf. Im Schiff des Tempels sang eine Handvoll Jünger hingebungsvoll vor der Statue Mutter Doorgahs. Der Cimmerier genoß die Vorstellung, daß dieser Gesang sehr bald für immer verstummen würde.
11. K APITEL
Die Schenke zum Eisenschädel
Als Conan erwachte, strömte das Licht durch das Fenster herein. Es war das Licht des Spätnachmittags. Er stand auf, reckte und wusch sich. Eine große Schüssel mit Wasser stand auf einer Truhe. Handtücher lagen daneben. Durchs Fenster erblickte er hinter dem Tempeldach ein großes Stück des Platzes. Die Budenbesitzer bauten gerade auf und legten ihre Waren aus. In der Ferne hörte er die große Glocke über dem Stadttor läuten. Sie schlug dreimal im Abstand einer halben Stunde an. Beim dritten Schlag wurde abends das Tor geschlossen.
Es tat dem Cimmerier nicht leid, den Tag beinahe verschlafen zu haben. Vielleicht war es gar nicht ungünstig, sich eine Zeitlang nicht im hellen Tageslicht zu zeigen. Er machte sich atemberaubend schnell Feinde. Conan legte die Waffen an und verließ das Zimmer. Auf der oberen Galerie blickte er aufmerksam ins Tempelschiff hinab, wo die Jünger wieder Gottesdienst abhielten.
Es waren mehr Gläubige als sonst da, und nicht alle trugen die Roben der Jünger. Ungefähr zwanzig von ihnen waren Neuzugänge beider Geschlechter. Alle trugen kostbare Gewänder aus Samt und Seide, auch mehrere Marder- und Zobelpelze waren zu sehen.
Die Luft war rauchgeschwängert. Eine Gruppe Jünger saß im Lotussitz hinter der großen Statue und machte mit Trommeln, Flöten und Zimbeln Musik. Andolla stand vor dem Bild der Göttin und blickte in einen goldenen Kessel über einem Feuer, aus dessen grünlichem Inhalt Dampfwolken aufstiegen. Mit hocherhobenen Händen sang Andolla mit hoher Stimme ein Lied. Conan hatte die Sprache noch nie gehört. Dann drehte sich der Priester zum Volk. Auf seinem Gesicht sah Conan die Starre und den Schweiß der Ekstase.
Oppia klatschte vor dem Altar der Götterstatue den Rhythmus des Gesangs der Jünger und Neuankömmlinge. Andolla nahm einen großen silbernen Pokal mit zwei Henkeln vom Schoß der Göttin und hielt ihn hoch. Sofort verstummten Musik, Klatschen und Gesang. Er füllte ihn mit der dampfenden Flüssigkeit aus dem Goldkessel.
»Sehet die Milch unsrer Mutter Doorgah, mit der sie ihre Kinder nährt! Trinkt davon und empfangt Erleuchtung!« Andolla trank aus dem Pokal. Dann schritt Oppia die Stufen zum Altar hinauf, nahm den Pokal und trank ebenfalls, ehe sie ihn zu den Gläubigen hinabtrug. Als erstes reichte sie den Pokal den Neuen. Die Musik spielte wieder, doch leiser und langsamer als zuvor. Zweimal füllte Oppia den Pokal, während Andolla sang. Conan bemerkte, daß die Neuen etwas zaghaft tranken und das Gesicht verzogen, die Jünger dagegen gierig, wie Menschen kurz vor dem Verdursten, nach dem Pokal griffen. Mehrmals mußte Oppia ihnen das Gefäß mit Gewalt entringen.
Nachdem alle getrunken hatten, sangen sie weiter die endlose Litanei. Conan stellte sich mit dem Rücken in den Schatten der Wand und wartete. Eine Stunde verging, ohne daß etwas geschah. Aber er verlor nicht die Geduld. Er hatte das sichere Gefühl, er bekäme etwas ungemein Wichtiges zu sehen: das Geheimnis des Banns dieser beiden Verbrecher über unschuldige Opfer.
Ein plötzlicher Schrei übertönte den Gesang. Eine junge Frau, eine Neue, zeigte nach oben zum Antlitz des Götterbilds. Conan spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Die geschlossenen Augen der Göttin hatten sich geöffnet und schienen von innen heraus zu lodern. Es blickte genauer hin. Tatsächlich, im Innern, hinter den Glasaugen, brannte ein Feuer! Und von irgendwoher im Tempel wurden Lichtstrahlen auf das Antlitz gerichtet. Die wabernden Schatten bewirkten den Eindruck, als würde sich die Miene der Statue ändern.
Conan blickte zu den Gläubigen hinab. Aller Augen waren verzückt nach oben gerichtet. Vielen liefen Tränen über die Wangen. Ein leises Quietschen verriet eine erneute Veränderung des Götterbilds. Langsam hob es die Arme und streckte sie vorwärts wie bei einer Segnung. Von oben sah Conan, daß vor den Füßen
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