Cool
steht an dem Loch und zittert. »Es ist nicht wahr«, sagt er benommen. »Es ist nicht wahr.« Im Tresor sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Schecks liegen verstreut auf dem Boden, Aktien und Schuldverschreibungen. Schmuckstücke liegen herum, als sei ihrer jemand überdrüssig geworden und habe sie fortgeworfen. Ein Armband, eine Halskette, ein ziselierter Pokal. Zwei Gasflaschen ragen aus dem Schutt. Bestürzt starren die beiden Schlosser den fassungslosen Bankdirektor an. Der scheint im Moment nicht in der Lage zu sein, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Ein Handwerker tippt ihm auf die Schulter: »Reißen Sie sich zusammen, Sie müssen die Polizei anrufen!«
Guenet dreht sich um: »Niemand darf etwas davon erfahren«, sagt er wie in Trance. In seiner panikartigen Stimmung klammert er sich an die ebenso geringe wie sinnlose Hoffnung, daß die Einbrecher vielleicht im Tresor nur ein blindwütiges Chaos angerichtet haben, ohne wirklich etwas mitzunehmen. Alle anderen wissen es besser.
»Sie müssen die Polizei verständigen«, redet der Schlosser beschwörend auf ihn ein.
Als Guenet langsam wieder zu sich kommt, bringt er nur ein kurzes, stummes Nicken zustande. Er geht die Treppe hinauf, in sein Büro. Alle, die ihn neugierig ansprechen, läßt er wortlos stehen. Wie ein nasser Sack fällt er in den ledernen Chefsessel. Dann greift er zum Telefon und wählt die Nummer der Polizei. Kommissar Albertin hat sein Büro nur hundertfünfzig Meter von der Bank entfernt, in der Avenue du Maréchal Foch. »Hier ist die >Societé Generale<. Wir sind beraubt worden«, spricht Guenet matt in die Muschel.
»Berühren Sie nichts«, antwortet Albertin schnell. »Wir sind schon auf dem Weg.«
Jacques Albertin könnte man eigentlich eher für einen jungen Industrie-Manager halten als für einen Polizisten. Er ist fünfunddreißig Jahre alt, groß, schlank und Brillenträger. Seine elegante Kleidung und der Messerhaarschnitt passen nicht zu einem Mann, der sich sein Leben lang mehr oder weniger mit Ganoven herumschlagen muß. Als er mit zwei jüngeren Detektiven die Treppe zum Tresorraum hinuntereilt, haben die zwei Männer von >Fichet-Bauche< das Loch in der Wand bereits auf einen Durchmesser von rund fünfundvierzig Zentimetern vergrößert. Guenet erklärt in knappen Worten, warum die beiden Handwerker hier sind und warum sie das Loch überhaupt in die Wand geschlagen haben.
Albertin späht durch die Öffnung und dreht sich gleich darauf zu seinen beiden Assistenten um. »Lecocq, Sie sind der Schlankste. Versuchen Sie, ob Sie durch das Loch kommen!«
Vorsichtig steckt Inspektor Lecocq seinen Kopf durch die Öffnung. Schließlich dreht er sich wie eine Schraube mit den Schultern zuerst in das Loch hinein. Auf halbem Weg hält er ein: Seine Hose hat sich auf dem rauhen Beton festgehakt. Er zögert, dann gibt er sich einen Ruck. Man hört Stoff zerreißen. Aber Lecocq fackelt nicht lange. Er knöpft die Hose auf und windet sich ohne durch die Maueröffnung. Er zieht den Revolver aus dem Schulterhalfter, weil er nicht weiß, ob sich vielleicht noch jemand im Tresor befindet.
Als erstes bemerkt er einen widerlichen Gestank: eine Mischung aus Rauch, verbranntem Gummi und menschlichen Exkrementen. Dann sieht er die Werkzeuge: Bohrer, Hammer, Lötlampen, Gasflaschen, Handschuhe und Gesichtsmasken.
Auf dem Boden liegen Ringe, silberne Tafelbestecke, ein Barscheck über 50 000 Francs, ein dickes Bündel mit Fünfhundert-Francs-Noten, Aktien, persönliche Briefe und jede Menge Verträge.
Der Schutt auf dem versengten Linoleum-Boden ist fast acht Millionen Francs wert. Die Diebe haben ihn einfach liegengelassen.
Lecocq bewegt sich vorsichtig durch den Tresorraum, den Revolver immer in der Hand. Er blickt hinter einen umgestürzten Safe, entdeckt einen Haufen Kies und Bruchsteine, schließlich ein ein Meter breites Loch in der Wand. Und einen Tunnel, der nicht enden will.
Jetzt weiß er, wie die Gangster hier reingekommen sind. Der Inspektor dreht sich um. Seine Augen bleiben an einer wunderschön gravierten Silberschale hängen, und ihm wird übel. Das Gefäß ist voller Kot…
Er geht zurück zum Tresor-Eingang. Draußen sind Kommissar Albertin und Monsieur Guenet schon ungeduldig geworden.
»Was für eine Sauerei«, flucht Lecocq. »Die sind von der Rue Gustave Deloye hereingekommen - durch einen Tunnel.«
»Die Abwasserkanäle«, sagt Albertin. »Die müssen die Abwasserkanäle benutzt haben.« Einen
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