Cool
Moment lang denkt er nach. »Bleiben Sie hier«, befiehlt er Lecocq. »Ich schicke zwei Männer los. Sie sollen von der Straße aus versuchen, hereinzukommen.«
An der Kreuzung der Rue de l’Hotel-des Postes und der Rue Gustave Deloye, gegenüber vom Fahrradständer, den auch die Bankangestellten benützen, schieben zwei Polizisten einen schweren Gullideckel zur Seite und steigen in den Kanal.
Am Fuß der Stahlleiter schwappt schmutziges, stinkendes Wasser über ihre Schuhe. Langsam bewegen sie sich in Richtung Norden vorwärts. Der Kanal verläuft unter der Rue Gustave Deloye. Drei Meter vom Einstieg entfernt entdecken sie im Schein ihrer Taschenlampen den Tunnelanfang.
Es müssen Fachleute gewesen sein. Die Decke des Tunnels ist mit Grubenstempeln abgestützt.
Die Wände sind sauber verputzt, der Boden ist mit einem Sisalläufer ausgelegt. Sie entdecken ein Elektrokabel, das sich den Fußboden entlangschlängelt, einer von ihnen stolpert über einen Schneidbrenner. Nach acht Metern stehen sie vor dem Loch in der Tresorwand. Sie können Inspektor Lecocq erkennen und müssen unweigerlich grinsen. Er steht da in Unterhosen, Socken und Schuhen, den Revolver hält er immer noch in der rechten Hand.
Von nun an gehört diese Bank nicht mehr dem sportlichen Direktor Jacques Guenet. Jetzt hat hier die Polizei die Geschäfte übernommen.
Albertin und seine Männer, die zuerst auf dem Schauplatz erschienen sind, bekommen Verstärkung: Kommissar Tholance und das Überfallkommando sowie Oberkommissar Duma und einige Leute der >Sûreté Urbaine<. Die Untersuchung leitet jetzt Hauptkommissar Claude Besson - ein unscheinbarer Endvierziger, der in seiner Laufbahn schon öfter für Schlagzeilen gesorgt hat. Erst vor kurzem brachte er neun gerissene Rechtsanwälte wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter.
Inspektor Jacob, der Polizeifotograf, lichtet mit seiner Rolleiflex jeden, aber auch jeden Winkel des Tresors ab. Der bärtige Jacob besitzt eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem bekannten französischen Fernsehkommissar Bourrel. Seine Kollegen ziehen ihn deswegen gern auf.
Als Jacob fertig ist, beginnen die anderen Beamten mit der Sicherung des Beweis- und Spurenmaterials. Alles in allem dürfte es gut eine Tonne schwer sein. Immerhin findet die Polizei im Tresor und im Abwasserkanal:
- 40 Sauerstoff-Flaschen
- 3 Schneidbrenner
- 10 Kneifzangen
- 2 aufblasbare Schlauchboote
- einen Rauchabzug mit einem mindestens fünfzig Meter langen Schlauch
- 20 Brecheisen
- wasserdichte Overalls, wie sie von Kanalarbeitern getragen werden
- Gummihandschuhe, Handschuhe und Regenmäntel
- Weinflaschen mit der Marke >Margnat-Village<
- Mineralwasserflaschen
- Schutzbrillen zum Schweißen
- Lebensmittel
- einen tragbaren Campingkocher mit Benzin-Kanister
- mehrere Kisten Zigarren
Während einige Beamte eine Liste mit allen gefundenen Gegenständen anfertigen, stopft eine andere Gruppe alles andere in große Plastiktüten.
Dies ist ein ekelhafter Job. Das ganze Wochenende haben hier Leute im Tresor gehaust, die keinerlei sanitäre Anlagen hatten. Die Polizisten, die hier aufräumen, nennen sich deshalb auch scherzhaft die >Jauche-Truppe<. Immer wieder müssen sie Pausen einlegen, um frische Luft zu schnappen.
Insgesamt fünfunddreißig Plastiksäcke füllen die Werkzeuge, die zerstreuten Wertpapiere und die zurückgelassenen Schmuckstücke.
Über einige der aufgebrochenen Schließfächer können sich die Beamten nur wundern: Ein Stapel Porno-Fotos, Amateuraufnahmen, die nackte Männer und Frauen beim Gruppensex zeigen. Pikant dabei ist, daß unter den Nackten einige der Mitglieder der sogenannten High Society von Nizza sind. Die Einbrecher haben einige der Fotos an die Wand geklebt.
Noch merkwürdiger ist eine Tüte, in der sich Lebensmittel befinden. Suppenkonserven, vier Pfund Zucker, einige Stückchen Kuchen und eine Tafel Schokolade. Wer, in Gottes Namen, packt sowas in den Safe? Einer der Bankangestellten weiß eine Erklärung dafür: »In Nizza gibt es viele Pensionäre, die hier so ihre kleinen Geheimnisse verstecken. Manche kommen nachmittags zu uns und rauchen verstohlen eine Zigarette im Tresorraum oder stopfen Süßigkeiten in sich hinein. Hier merken es weder der Ehepartner noch der Arzt.«
Und die Suppenkonserven? »Die Erinnerung an den Krieg, an den Hunger, steckt einigen Leuten noch heute in den Knochen. Das ist halt der Hamstertrieb.«
»Es gibt aber auch andere - einer unserer Kunden schreibt hier
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