Cool
seine Memoiren. Er holt sich morgens das Manuskript aus dem Safe, arbeitet den ganzen Tag über daran und schließt es abends wieder ins Wertfach. Sicher«, der Bankangestellte hebt die Schultern, »das sind Exzentriker. Aber warum sollen wir uns da einmischen?« Ein junger Polizeibeamter nimmt Haltung an und meldet sich respektvoll bei Kommissar Besson: »Sehen Sie nur, die Einbrecher haben eine Nachricht hinterlassen.« In großen, deutlichen Buchstaben sind sieben Worte an die Wand geschmiert: »Sans armes, sans haine et sans violance.« Ohne Waffen, ohne Haß und ohne Gewalt. Daneben ein keltisches Kreuz, Symbol einer verbotenen rechtsextremistischen Organisation namens >Occident<. Besson macht sich eine Notiz, und Jacob fotografiert.
Auch das Rätsel um die klemmende Tür ist schnell gelöst: Die Bankräuber haben sie ganz einfach von innen zugeschweißt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme für den zwar unwahrscheinlichen, dennoch möglichen Fall, daß jemand von der Bank am Wochenende auf die Idee kommen sollte, den Tresorraum zu betreten.
Die Beamten machen weitere Entdeckungen in der Kanalisation. Ein Tunnel, der unter der Rue de l’Hôtel endet, ist als Schuttabladeplatz für ausgehobenes Erdreich und Bauschutt benutzt worden.
Das weiße, elektrische Kabel, das mit Haken an der Kanaldecke befestigt ist, führt dreihundert Meter durch die Kanalisation, dann durch einen Siphonraum (die Stadtverwaltung benutzt ihn zum Messen des jährlichen Niederschlags), bis in die Tiefgarage unter der Place Massena. Dort endet es in einem ganz normalen Stecker, für den die Stadt >kostenlos< die Elektrizität lieferte.
Andere Polizisten folgen der Spur der weggeworfenen Gummistiefel, Lötlampen und -kolben, der Schaufeln und Bohrer. Sie weisen den Weg durch die Kanäle unter der Rue Gustave Deloye, der Rue St. Michel, links hinein, in die Rue Gioffredo, dann wieder rechts unter die Rue Chauvain bis zur Abzweigung Rue Félix Faure. Hier stoßen die Beamten auf keinen der vielen Abwasserkanäle, nein, auf eine breite, unterirdische Straße.
Nizzas großer Fluß, der Paillon, der im Sommer fast ausgetrocknet ist, führt im Winter sein Bett durch vier breite, unterirdische Tunnel bis ins Meer. Das Flußbett ist in diesen Tunneln von je zwei Straßen flankiert, auf denen die Arbeiter die Kanalisation inspizieren. Zwei Autos können darauf aneinander vorbeifahren. Über diesen unterirdischen Weg haben die Einbrecher die Abwasserkanäle unbehelligt erreicht.
Ein Polizist folgt der Straße über mehr als eineinhalb Kilometer in Richtung Norden. Dort tritt sie hinter dem Messegelände an die Oberfläche. Im Sand des ausgetrockneten Flußbetts findet der Beamte die Reifenabdrücke eines Landrovers.
Das Bild ist jetzt klarer.
Inzwischen bemühen sich im Tresor Jacques Guenet, Pierre Bigou und Hauptkommissar Claude Besson einen ersten Überblick über das Ausmaß der Beute zu bekommen, die die Einbrecher bei ihrem Supercoup gemacht haben. Der Tresor besteht aus drei Räumen. Im größten befinden sich die viertausend Schließfächer der Bank. Dreihundertsiebzehn davon sind aufgebrochen. In die Stahlkammer, in das >Herz< der Bank, ist auch eingebrochen worden. Die zusätzliche Stahltür, die dahin führt, ist ebenfalls geknackt und sämtliche Reserven der Bank, an Goldbarren und Bargeld, sind fort.
Der dritte Raum dient als Nachttresor. Nach Geschäftsschluß werden hier die Tageseinnahmen deponiert. Von der Straße aus werden Geldbomben durch einen Schlitz in einen Schacht geworfen, der hier endet. Sowohl die Einnahmen des größten Kaufhauses der Stadt als auch die des umsatzstärksten Supermarktes haben die Einbrecher mitgehen lassen.
Guenet, Bigou und der Hauptkommissar können vorerst nur schätzen. Aber selbst diese Schätzung wagt niemand laut auszusprechen: Rund sechzig Millionen Francs, es können aber auch hundert Millionen Francs sein. Es ist der größte Bankraub aller Zeiten. Claude Besson, dieser unscheinbare und doch so erfolgreiche Beamte, ist nicht leicht zu beeindrucken. Die Kriminalität, die in Frankreich bis in die höchsten Finanzkreise und in die höchste Politik reicht, die kennt er. Gerissene Anwälte mit ihren hochkarätigen Klienten können ihn nicht beirren. Kleine und große Rauschgifthändler hat er bis jetzt immer noch aufs Kreuz gelegt. Er war ihnen stets eine Nasenlänge voraus.
Aber diesmal ist auch Claude Besson beeindruckt. Was er hier sieht, entlockt ihm einen anerkennenden Pfiff durch die
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