Coolman und ich (German Edition)
um zu sehen, ob auch unsere Lehrer unter den Opfern sind. Sind sie aber nicht.
Es ist auch gar nicht der Vertretungsplan, der meine Mitschüler so brennend interessiert. Es ist ein Zeitungsartikel aus der heutigen Lokalausgabe, den irgendwer mit Tesa an die Scheibe gepappt hat. Über dem Bericht ist ein Foto, und die beiden nackten Menschen, die auf dem Bild zu sehen sind, kommen mir ziemlich bekannt vor. Darüber hat jemand »Kais Eltern bei der Arbeit« gekritzelt.
Um mich zu beruhigen, beschließe ich, in Gedanken das »Es könnte alles noch viel schlimmer sein«-Spiel zu spielen. Aber es funktioniert nicht. Mir fällt einfach nichts ein, was noch schlimmer sein könnte.
Wenn man noch nicht so lange an einer Schule ist, kennt man noch nicht so viele Schüler. Aber das gilt auch umgekehrt: Mich kennt hier auch noch nicht jeder. Allerdings befürchte ich, das wird sich in der nächsten Pause ändern.
Das Klingeln der Schulglocke rettet mich. Die Schüler verteilen sich auf ihre Klassen. Als ich allein bin, reiße ich den Artikel von der Glasscheibe und lasse ihn schnell in meiner Hosentasche verschwinden.
Ich habe es nicht eilig, in meine Klasse zu kommen. Je später ich dort ankomme, desto besser.
Als ich den Klassenraum betrete, sitzen schon alle auf ihren Stühlen, und unsere Klassenlehrerin, die alte Frau Maier, ist auch schon da. Sie sieht mich streng an, weil ich zu spät bin, sagt aber nichts.
»Echt cool, deine Eltern«, zischt es von einem der Tische.
»Hochachtung! Hätte ich deinen Alten gar nicht zugetraut«, kommt es von einem anderen.
Es dauert einen ewig langen Moment, bis ich kapiere, dass die anderen den Auftritt meiner Eltern gar nicht peinlich finden. Sind die jetzt alle komplett übergeschnappt?
Ehe ich mich weiter über die geistige Beschränktheit meiner Mitschüler wundern kann, mischt sich die Maier ein und sagt: »Über die Talente von Kais Eltern könnt ihr euch in der Pause austauschen!«
Langsam beruhigt sich die Klasse.
»Denkt dran, dass nächste Woche das Kostümfest unserer Schule ist. Ich hoffe, ihr lasst euch alle eine tolle Verkleidung einfallen.«
Ich hasse Kostümpartys, seit mich meine Mutter in der vierten Klasse in ein Auberginen-Kostüm gesteckt hat, das sie aus dem Theaterfundus mitgebracht hatte. Dabei weiß jeder, dass es auf der ganzen Welt kein Kind gibt, das Auberginen mag. Während der ganzen Party stand ich als lila Gemüse allein in der Ecke, weil den meisten meiner damaligen Mitschüler schon bei meinem Anblick übel wurde.
Erst Antis Party und dann das Kostümfest — das verspricht eine wirklich lustige Woche zu werden. Zum Totlachen, denke ich, als die Maier plötzlich meinen Namen sagt.
»Hast du nicht gehört, Kai? Ich hatte gefragt, ob du und Lena aus dem Kartensaal die Deutschlandkarte holen könnt!«
Lena steht schon an der Tür und wartet auf mich. Was guckt sie mich so komisch an? Ob sie den Artikel heute Morgen auch gelesen hat? Ich glaube nicht, denn in ihrem Blick kann ich weder Spott noch Mitleid erkennen.
Nebeneinander laufen wir über den Flur. Und tatsächlich! Sie hat es schon wieder getan. Ihr Ärmel hat meinen berührt. Es ist das dritte Mal, und ich wette alle meine Harry-Potter-Bücher, sie macht das mit Absicht. Als wenn der Flur nicht breit genug wäre. Weiter nach links kann ich nicht. Da ist die Wand mit den Garderobenhaken und ich bin nicht besonders gut im Durch-die-Wände-Gehen.
Von unserer Klasse aus gesehen liegt der Kartenraum genau am anderen Ende unserer Schule. Das ist länger als die Strecke, die wir am Wandertag laufen müssen, und wieder einmal typisches Kai-Pech.
Da! Ihr Ärmel hat schon wieder mein Kapuzenshirt gestreift. Sie riecht nach Vanille. Ausgerechnet Vanille. Ich mag Vanille. Jetzt bloß nicht rübergucken, sonst sieht sie, dass ich rot werde. Nicht rübergucken — und hoffen. Hoffen, dass sie nicht auch noch mit mir reden will.
»Als was gehst du denn zu dem Kostümfest?«
Ich tue einfach so, als hätte ich das gar nicht gehört. Da vorne ist die Glastür und direkt dahinter liegt auch schon der Eingang zum Kartenraum.
»Bist du taub? Hallo, Kai! Hier Lena! Ich habe dich was gefragt!« Lena wischt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum, als wäre da eine Windschutzscheibe. Ich starre einfach weiter geradeaus. Irgendwann wird sie schon damit aufhören.
»Du hast schöne Zähne«, flüstere ich leise, damit
Coolman
endlich Ruhe gibt.
»Was hast du gesagt?« Lena sieht mich an, als wäre ich
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