Coolman und ich (German Edition)
heute ist mein Bedarf an Schule gedeckt und auch auf die blöden Kommentare zum FKK-Auftritt von Romeo und Julia kann ich gut verzichten. Ich muss nur noch einen guten Grund für einen ehrenvollen Abgang finden.
Drei Wege, um früher aus der Schule nach Hause zu kommen:
1) Ich springe vom Schuldach, breche mir ein Bein und lasse mich von einem Krankenwagen nach Hause fahren. Dann hätte ich drei Wochen Ruhe. Mindestens.
2) Ich erzähle von den seltsamen Punkten im Gesicht von Onkel Shangri, der gerade aus Indien bei uns zu Besuch ist und der gesagt hat, dass in seinem Dorf kurz vor seiner Abreise die Pest ausgebrochen sei.
3) Ich esse eines von den Rührei-Brötchen, die unser Hausmeister während der Pause in seinem Kiosk verkauft.
Ich verwerfe
Coolman
s Vorschlag, weil ich kein guter Sprinter bin. Stattdessen entscheide ich mich für die Variante Rührei-Brötchen. In den Pausen verkauft unser Hausmeister belegte Brötchen, Schokoriegel und Kakao zu Wucherpreisen. Er kann sich das leisten. Der nächste Supermarkt liegt im Tal, und um den zu erreichen, müsste man den Schulberg erst runter- und dann wieder rauflaufen. Das ist in einer Pause gar nicht zu schaffen. Deswegen kann der Hausmeister für seine Brötchen verlangen, was immer er will. Aber sein Monopol reicht ihm nicht. Er will das ganz große Geld machen und verkauft die Reste vom Vortag als frische Ware — so lange, bis der flauschige grüne Schimmel auf den Brötchen nicht mehr zu übersehen ist.
Unter den Schülern, die keine Zeit hatten, für ihre Klassenarbeit zu lernen, sind besonders die Rührei-Brötchen beliebt. Nach zwei Bissen bricht dir der kalte Schweiß aus, nach dem dritten wirst du grün im Gesicht, nach dem vierten wälzt du dich mit Magenkrämpfen auf dem Boden und spätestens nach dem fünften Bissen schicken dich die Lehrer nach Hause oder direkt ins Krankenhaus. Kein Wunder, dass die alten Rührei-Brötchen doppelt so teuer sind wie die frischen.
»Hey, Kai, komm doch zu uns! Wir lassen dich vor«, ruft plötzlich eine Stimme.
Es ist Alex, der neben Justin ganz vorne in der Schlange steht. Es scheint, als ob die beiden sich doch noch entschlossen haben, kurz vorbeizuschauen.
Ich zögere einen Moment, dann nehme ich ihr Angebot an. Je schneller ich hier raus bin, desto besser. Ich laufe an der Schlange vorbei, immer darauf gefasst, dass mir jemand ein Bein stellt oder »Vordrängeln gilt nicht« motzt. Passiert aber nicht. Im Gegenteil. Die anderen Schüler machen mir Platz und starren mich fast schon ehrfürchtig an. Es fehlt nicht viel und sie werfen sich vor mir auf den Boden.
Ich nicke Justin und Alex wortlos zu und stelle mich ganz vorne in die Schlange. Ich tue so, als würde ich das Raunen in meinem Rücken nicht hören, und bestelle ein Rührei-Brötchen von vorgestern.
»Das macht drei Euro!« Der Hausmeister reicht mir das Brötchen und grinst mir verschwörerisch zu.
»Lass stecken! Ich lade dich ein, echt«, sagt Justin, als ich bezahlen will.
»Danke«, murmele ich, drehe mich um und gehe.
»Wir sehen uns heute Abend auf deiner Party, Alter«, ruft Alex mir nach.
Das Raunen wird lauter. Na super, jetzt wissen alle, dass es heute Abend bei mir zu Hause eine Party gibt.
Genau so wird es kommen und ich kann nichts dagegen tun.
Mit meinem Rührei-Brötchen mache ich mich auf die Suche nach dem Lehrer, der in der Pause Aufsicht hat. Es ist Kauffmann, unser Sportlehrer. Ausgerechnet Kauffmann! Früher war er mal Amateur-Vizemeister im Boxen und hat dabei zu wenig auf seine Deckung geachtet. Sein Kopf hat ein paar Treffer zu viel abbekommen und deswegen dauert bei ihm alles immer etwas länger.
Ich stelle mich ein paar Meter neben ihn. Das Ei schimmert tatsächlich schon leicht grünlich, das kann ich sehen, als ich hineinbeiße. Nach dem zweiten Bissen nimmt mein Gesicht dieselbe Farbe an. Ich drehe mich so, dass Kauffmann es sehen muss. Tut er aber nicht. Kauffmann reagiert mal wieder zeitverzögert, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ein drittes Mal herzhaft in das Brötchen zu beißen. Sofort krampft sich mein Magen zusammen. Endlich bemerkt das auch Kauffmann.
»Mein Gott, Kai! Wie siehst du denn aus? Du musst sofort ins Bett«, ruft er, und das lasse ich mir nicht zweimal sagen.
Wegen der Magenkrämpfe, die mich immer wieder zum Anhalten zwingen, brauche ich für den Weg nach Hause doppelt so lange wie gewöhnlich. Als ich daheim ankomme, parkt ein Taxi vor unserem Haus. Der Fahrer blättert
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