Coolman und ich (German Edition)
Das ist ein großes Glück, weil ich so in Ruhe frühstücken kann. Ich bezweifle, dass ich auch nur einen Bissen runterkriegen würde, wenn Romeo und Julia mir jetzt in ihren Schlafanzügen gegenübersäßen.
Von Anti ist auch nichts zu sehen. Entweder sie ist schon unterwegs zur Schule oder sie macht heute blau. Ich glaube, sie schwänzt.
Wenn ich so mutig wäre wie sie, würde ich ihrem Beispiel folgen. Aber das bin ich nicht. Also trinke ich brav meinen Orangensaft aus und schnappe mir meine Schultasche, ehe meine Eltern doch noch aufwachen und von mir wissen wollen, wie mir ihr Stück gestern gefallen hat.
Habt ihr schon mal das »Es könnte alles noch viel schlimmer sein«-Spiel gespielt? Wenn es so richtig übel läuft und ich denke, schlimmer geht es nicht, stelle ich mir etwas vor, was noch schlimmer wäre. Danach fühle ich mich meistens schon viel besser.
Schlimm ist: Meine Eltern stehen nackt auf der Bühne.
Noch schlimmer wäre: Meine Eltern stehen nackt auf der Bühne und im Zuschauerraum sitzt einer meiner Klassenkameraden. Dann hätte ich keine andere Wahl, dann müsste ich auswandern. Sofort!
Da hat
Coolman
ausnahmsweise mal recht.
Von mir zu Hause bis zur Schule sind es höchstens fünfzehn Minuten. Ich könnte das Rad nehmen, da wäre ich noch schneller. Aber erstens habe ich es gar nicht so eilig, zur Schule zu kommen, und zweitens geht es ziemlich steil den Berg rauf.
Also gehe ich zu Fuß. Ich bin noch nicht weit gekommen, als sich meine Befürchtung von gestern bewahrheitet.
Coolman
ist nicht mehr mein einziger ständiger Begleiter. Vor der Bäckerei warten Alex und Justin auf mich.
»Hallo, Kai! Wie geht’s, Alter? Hast du Hunger?«, ruft Alex und hält mir eine Tüte hin, aus der es verlockend nach Brezeln duftet.
»Was wollt ihr?«, murmele ich.
»Dich begleiten, was sonst, Alter?«, antwortet Alex.
»Nimm dir eine, die sind lecker, echt«, sagt Justin und hält mir die Tüte jetzt direkt unter die Nase.
»Ihr wollt doch nur meine Freunde sein, weil ihr Schiss vor meiner Schwester habt«, erwidere ich. »Aber das braucht ihr nicht. Mir reicht es, wenn ihr mich einfach in Ruhe lasst. Okay?«
Alex und Justin ziehen ihre Stirn in tiefe Falten. Es sieht aus, als ob sie angestrengt über etwas nachdenken würden. Das kann dauern, aber ich habe es nicht eilig.
»Geht nicht, Alter«, sagt Alex nach einer gefühlten Ewigkeit.
»Wir müssen richtig deine Freunde sein. Sonst verprügelt deine Schwester uns wieder, echt«, ergänzt Justin.
»Ich werde mit ihr reden. Sie lässt euch in Ruhe, wenn ihr mich in Ruhe lasst«, versuche ich sie zu überreden.
»Dürfen wir trotzdem zu deiner Party kommen, Alter?«, fragt Alex.
»Das ist nicht meine Party!«
»Dürfen wir echt trotzdem?«, beharrt Justin.
»Von mir aus«, sage ich und schnappe mir die Tüte mit den Brezeln. Die sind sogar noch warm. Mit langen, großen Schritten erklimme ich den Berg, auf dem unsere Schule liegt.
Nach ein paar Metern blicke ich routinemäßig über meine Schulter und sehe, dass die beiden mit einem Abstand von exakt fünf Schritten hinter mir herlaufen, als wären sie zwei ausgesetzte Hunde.
Als ich stehen bleibe, bleiben auch sie stehen. Als ich wieder loslaufe, laufen auch sie wieder los.
Nach fünfhundert Metern reicht es mir. Ich drehe mich um und rufe den beiden »Verschwindet! Haut ab!« zu.
Aber das scheint sie nicht zu beeindrucken.
»Wir wollen nur ganz sichergehen, dass deine Schwester auch sieht, dass wir dich in Ruhe lassen, Alter«, sagt Alex.
»Ich hab doch gesagt, ich erzähle es ihr«, sage ich.
»Echt versprochen?«, fragt Justin.
»Versprochen!«
Alex und Justin zögern noch einen Moment, dann drehen sie sich um und laufen die Straße hinunter.
Das hätte ich mir denken können. Die beiden sehen nicht so aus, als gehörte regelmäßiger Schulbesuch auf der Liste ihrer Lieblingsbeschäftigungen ganz weit nach oben.
Mir kann das egal sein. Ich mache mich an die letzte Etappe. Die letzten Meter sind besonders steil. Ohne Sauerstoffflasche ist der tägliche Schulbesuch hier oben eigentlich gar nicht zu schaffen.
In der Schule führt mich mein erster Gang immer zum Vertretungsplan. Es könnte ja sein, dass eine Stunde ausfällt. Vor dem Plan hat sich schon eine riesige Traube von Schülern versammelt, die sich ihre Nasen an dem Glaskasten platt drücken. Es scheint fast so, als hätte eine Seuche den gesamten Lehrkörper schachmatt gesetzt. Ich drängele mich durch die Menge,
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