Copy
nicht zu Ende gebracht ist.
ETWAS IM KÜHLER
… ODER WIE REALAL ENTSCHEIDET, DASS ER HILFE BRAUCHT…
Ich parkte beim Kleinvenedig-Kanal, betrat Claras Hausboot und hoffte, sie zu Hause anzutreffen.
Es passte zu Clara, auf dem Wasser zu wohnen. Die meisten Leute – selbst arme – waren fieberhaft dabei, ihr Zuhause auszubauen, mehr Platz zu bekommen und mehr Besitztümer anzusammeln, aber meine Freundin bevorzugte spartanische Kompaktheit. Die Strömung des Flusses und sein sanftes Schaukeln erinnerten sie an die Instabilität der Welt – und die fand sie beruhigend.
Wie die Kugellöcher in der Nordwand, durch die Sommerlicht in den winzigen Salon des Bootes fiel. »Meine neuen Oberlichter«, hatte Clara sie genannt, kurz nachdem es uns beiden gelungen war, die Waffe aus Pals Händen zu winden. Er war direkt vor uns zusammengebrochen – das einzige Mal, dass ich unseren gemeinsamen Freund dabei gesehen hatte, wie er über sein Unglück schluchzte. An jenem Tag hatte er – beziehungsweise die Hälfte von ihm, die übrig war – in seinem glänzenden neuen Lebenserhaltungsstuhl das Krankenhaus verlassen.
Als wir Pal später nach Hause brachten, schob Clara seine Entschuldigungen beiseite und schwor, die Löcher nie zuzustopfen. Sie bezeichnete sie als wichtige »Verbesserungen«.
Das dürfte erklären, warum ich das Boot aufsuchte, wenn ich mich selbst »durchlöchert« fühlte oder von etwas enttäuscht war.
Doch diesmal war Clara nicht zu Hause.
In der Küche fand ich einen Zettel.
BIN IM KRIEG, hatte sie geschrieben.
WARTE NICHT AUF MICH!
Ich brummte verdrießlich. War dies die Quittung dafür, dass mein Zombie-Selbst am vergangenen Abend Madame Fs Dinnerparty gestört hatte? Clara legte Wert auf gute nachbarschaftliche Beziehungen.
Dann erinnerte ich mich. O ja, ein Krieg. Sie hatte vor einer Weile erwähnt, dass ihre Reservisteneinheit für den Kampfdienst eingezogen wurde. Ein Einsatz gegen Indien, glaubte ich mich zu erinnern. Oder gegen Indiana?
Verdammt, so eine Sache konnte eine ganze Woche dauern. Manchmal noch länger. Ich wollte wirklich mit ihr reden und nicht die ganze Zeit damit verbringen, mir Sorgen darüber zu machen, wo sie war und was sie machte, dort draußen in der Wüste.
Der Rest der Mitteilung lautete:
BITTE LASS MEINEN ARBEITER IN RUHE,
MORGEN IST EIN PROJEKT FÄLLIG.
Ich blickte zu ihrem kleinen Sim-Arbeitszimmer und sah Licht unter der Tür. Bevor Clara aufgebrochen war, hatte sie also ein Duplikat angefertigt und darauf programmiert, bestimmte Hausaufgaben für sie zu erledigen. Zweifellos saß dort eine graue oder schwarze Version meiner Freundin, in einen Virtualitätstschador gehüllt und bei der Arbeit an irgendwelchen Dingen, die ihr neuestes Studienfach erforderten, vielleicht Bantu-Linguistik oder chinesische Militärgeschichte – ihre Interessen schwankten ständig, wie bei hundert Millionen anderen permanenten Studenten auf diesem Kontinent.
Was mich betraf… Ich gehörte zu einer aussterbenden Art,den Beschäftigten. Meine Philosophie: Warum in der Schule bleiben, wenn man über ein marktfähiges Können verfügt? Man weiß nie, wann es veraltet.
Die magnetische Klinke gab leise nach, als ich sie berührte, und behutsam öffnete ich die Tür des Arbeitszimmers. Clara hatte mich aufgefordert, ihr Duplikat nicht zu stören, aber manchmal war ich unsicher. Vielleicht wollte ich nur feststellen, ob sie mir noch immer vertraute und meiner Biometrie freien Zugang zu allen Teilen des Hausbootes gewährte.
Das schien tatsächlich der Fall zu sein. Und ja, dort saß ein Grauer und arbeitete an dem kleinen Schreibtisch, der ein Durcheinander aus Papieren und Datentafeln präsentierte. Nur die Beine zeigten sich: teigiger Ton ohne Textur, aber realistisch geformt. Alles über der Taille befand sich unter einem holointeraktiven Gewebe, das sich ständig bewegte, als der Dito mit wackelnden Händen schrieb. Eine Stimme filterte durch die dämpfenden Schichten.
»… Nein, nein! Ich möchte keine kommerzielle Hobby-Simulation des Fiaskokrieges. Ich brauche Informationen über die tatsächlichen Ereignisse! Keine Daten aus Geschichtsbüchern, sondern Kopien von Berichten über Bioverbrechen wie zum Beispiel TARP… Ja, genau. Ich meine realen Schaden, den reale Menschen erlitten, damals, als der Krieg noch…
Ich weiß, dass die Verfahrensaufzeichnungen vierzig Jahre alt sind!
Und? Pass dich den alten Datenprotokollen an und… Meine
Weitere Kostenlose Bücher