Cora Historical Gold - 129 - Die Novizin
Maria Clematis erstarrte, als Eloise auflachte.
»Ich glaube kaum, dass ›Zähne‹ als besonderes Merkmal auf der Liste der Anforderungen für Ehemänner steht. Seinen Charakter soll ich beurteilen – seine Aufrichtigkeit, Barmherzigkeit, sein Urteil und seine Rücksicht. Und bislang hat er … Maria Clematis, wieso guckst du dir eigentlich seine Zähne an? Du lieber Himmel!«
Sie wandte sich abrupt ab, rollte ihren zusammengefalteten Umhang zu einem Kissen und legte sich auf den harten Boden. Vergebens bemühte sie sich, den Gedanken an das – zugegeben ebenmäßige – Gebiss des Ritters zu verscheuchen, doch stattdessen schweifte sie auf seine restlichen körperlichen Merkmale ab … die vollen Lippen, feste, sonnengebräunte Wangen, blitzende Augen und die breiten Schultern, die ihren Blick tagsüber immer wieder angezogen hatten, als er unbeirrt weiterritt, ohne Rücksicht auf Verluste.
Hochmütige Kreatur!
Doch bald vermischten sich Clemmies Worte mit denen der Äbtissin. Sie durfte nicht zu vorschnell urteilen … Gebt dem Earl eine Chance … Zweifellos hat er bessere Eigenschaften … Es dauert wenigstens einen Monat … vielleicht zwei oder drei …
Irgendwann musste der Schlaf sie doch übermannt haben, denn als Nächstes schrak sie vom heftigen Ruckeln und lauten Männerstimmen hoch. Die Männer … die Küste … Sie hörte die Brandung rauschen und setzte sich mit Herzklopfen auf.
Sie rollte sich auf die wunden Knie, hob die Filzplane an und sah hinaus. Der Wind riss sie ihr sofort aus der Hand. Nun musste sie mit einer Hand den teuren neuen Schleier, mit der anderen sich selbst am Wagen festhalten. Als sie sich nach Maria Clematis umdrehte, suchte die ebenfalls nach irgendeinem Halt im schaukelnden Gefährt. Draußen zog feucht und schwer der neue Morgen herauf, und Eloise erblickte zum ersten Mal seit neun Jahren wieder das Meer.
Es war überaus Furcht einflößend. Windgepeitschte Wellen wuchsen jäh zu hohen, glatten grauen Wänden, die an den Felsen zu schäumender Gischt zerschellten. Beklommen beobachtete Eloise, wie immer neue Wellen in unbarmherziger Folge den Platz der vor ihnen zerschellten einnahmen.
Der Regen hatte aufgehört, doch die Wolken hingen tief und tanzten. Mächtige Winde trieben sie mal in die eine, dann in die andere Richtung, während der Wagen auf einem Karrenpfad an der Klippe entlang wasserwärts rumpelte. Sie konnte eine Ansammlung unverputzter Steinhäuschen und -koben ausmachen. Dahinter lag ein schmaler Sandstreifen, auf dem eine bunte Mischung verschiedenartiger Fischerboote sich mit den heranrollenden Wogen hoben und senkten. In einiger Entfernung vom Strand lagen zwei größere Schiffe, die im schaumgekrönten Wasser heftig schlingerten, und ein kleineres Beiboot kämpfte tapfer mit den Wellen, um sich jenen zu nähern.
»Was tun die da?« fragte sie den Soldaten, der das Maultier führte.
»Laden«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
»Bei diesem Unwetter?« Ein Sturm war es ja streng genommen noch nicht, bisher konnte man es schlimmstenfalls als rauen Wind bezeichnen. Doch ein Blick zum Himmel verhieß jeden Augenblick neue Regenschauer.
Erinnerungen an ihre letzte Überfahrt suchten sie heim: das Heulen der Elemente, das schlingernde Schiff, die Stoßgebete des betagten Onkels, der sie ins Kloster bringen sollte, das Gefühl, ihr letztes Stündlein sei gekommen …
Eloise kämpfte gegen das lähmende Entsetzen an, als sie den Ritter unter seinen Mannen entdeckte, alle bis zu den Hüften in der Brandung stehend. Sobald der Karren den Strand erreichte, sprang sie hinunter und eilte über den nassen Sand zu ihm.
»Eure Lordschaft!« Entweder hörte er sie nicht oder zog es vor, sie nicht zu beachten. »Whitmore!« schrie sie aus Leibeskräften. Und endlich drehte er sich um. »Was macht Ihr denn da?« Sie musste den Rock ihres neuen Habits hochheben und einer Welle ausweichen. Schon kam er durch das Wasser auf sie zu und setzte eine entschlossene Miene auf.
»Wir sind im Begriff, an Bord zu gehen …«, er deutete auf die von Wellen belagerten Schiffe, »um den Ärmelkanal zu überqueren und dann weiter auf mein Rittergut zu reisen.«
»In diesem Malstrom?« Sie baute sich vor ihm auf und sah ihn durchdringend an. Wenn sie jetzt vor ihm kuschte, so viel stand fest, würde er nie Respekt vor ihr haben. »Gewiss müssen wir abwarten, bis sich der Sturm gelegt hat.«
»Dafür bleibt uns keine Zeit.« Er stemmte die großen bloßen Fäuste in die
Weitere Kostenlose Bücher