Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
als wir ihn gestern sahen, sehr lustlos wirkte. Ich habe dir mehr als einmal gesagt, dass man keinen Mann, erst recht nicht ihn, zur Ehe zwingen kann, wenn er es nicht will. Ich nehme jedoch an, dass du Recht hast«, setzte er beruhigend hinzu. »Er wird einfach… hm… anderweitig beschäftigt sein und irgendwann auftauchen, wenn auch nicht rechtzeitig, aber doch wenigstens, um die Form zu wahren.«
Nach einem leisen Klopfen erschien Blevins erneut und brachte ein in der Mitte gefaltetes Stück Papier auf einem kleinen Silbertablett. Er reichte es Lady Binsted.
»Dies wurde soeben abgegeben, Mylady. Einer von Lord Cordrays Dienstboten hat es gebracht.«
Die Marchioness riss die Nachricht an sich, las sie durch, zerknüllte sie und schnappte dabei hörbar nach Luft.
»Christopher ist fort!« japste sie und übergab ihrem Gatten die Nachricht. »Er hat das Weite gesucht. Es ist unglaublich!« Hochroten Gesichts eilte sie zu einem Sessel und ließ sich hineinfallen.
»Meine liebe Tante«, las der Marquess laut vor. »Aus geschäftlichen Gründen muss ich die Stadt für einige Tage verlassen. Ich hoffe, meine Abreise wird dir keine Ungelegenheiten bereiten, und ich wünsche dir, dass dein Dinner ein voller Erfolg wird.«
»Ich fasse es nicht! Der elende Kerl weiß doch, dass wir ihn erwarten und wie wichtig seine Anwesenheit ist.«
»Bei Gott! Man sollte ihn auspeitschen!«
Lord und Lady Binsted drehten sich hastig um und starrten den Neffen an. Wilfred wurde rot und trat unbehaglich von einem Bein auf das andere.
»Ich meinte nur… nun, es ist äußerst unhöflich von Christopher, Corisande so zu behandeln. Schließlich will sie ihn doch heiraten!«
»Nun ja, mein Lieber.« Lord Binsted machte eine besänftigende Geste. »Wir müssen weitermachen. Vielleicht erscheint er doch noch! Bei ihm weiß man das nie. Er wechselt seine Meinung so oft wie seine Krawattentücher.«
Der Marchioness gingen die letzten Bemerkungen ihres Gatten den ganzen Abend nicht aus dem Sinn. Die Gäste trafen ein, das Dinner wurde serviert und wieder abgetragen, ohne dass der Mann, für den es arrangiert worden war, sich gezeigt hätte.
Ungefähr zu der Zeit, da die Marchioness of Binsted sich ein weiteres Mal schon fast verzweifelt bei ihren Gästen für das Fernbleiben des Neffen entschuldigte, galoppierte ein Reiter über die sanft geschwungenen Hügel East Anglias.
Der Himmel war sternenklar. Christopher Culver, Earl of Cordray, war froh, dass das Licht des Vollmondes ihm den Weg erhellte.
Er war aus London geflohen, weil er nicht die Absicht hatte, Corisande Brant, Viscount Rantrays älteste Tochter, zu heiraten. Ihm war klar, dass er sich feige benahm, aber im sofortigen Aufbruch zu seinem Zufluchtsort hatte er den einzigen Ausweg aus dem Dilemma gesehen.
Sein Ziel war der hübsche, außerhalb von Great Shelford gelegene Landsitz Wildehaven, eine Schenkung, die ein ihm zugetaner Onkel ihm einige Jahre zuvor gemacht hatte.
Christopher war erst ein Mal dort gewesen. Danach hatte er den Besitz in die Hände des fähigen Verwalters überantwortet. Er war ein Stadtmensch, dem das Bedürfnis nach einem beschaulichen Dasein auf dem Land völlig abging.
Bis jetzt.
Natürlich wusste er, dass er sich in seiner gesellschaftlichen Stellung seinen familiären Pflichten nicht entziehen konnte. Er musste für Nachwuchs sorgen. Diesen Gedanken hatten Vater und Großvater ihm gründlich eingebläut. In der Familie war man allgemein der Auffassung, Gott möge verhüten, dass der Titel an Wilfred fiel, und Christopher hätte nicht mehr zustimmen können. Der Bruder war ein netter Kerl, besaß indes das Urteilsvermögen eines Kindes. Vor einigen Jahren hatte er sich mit Brinhaven, einem engen Freund des Prinzregenten, angefreundet und war in die Kreise des Thronfolgers geraten. Irgendwie hatte er sich Prinz George unentbehrlich gemacht.
Christopher seufzte und gelangte zu der Erkenntnis, dass es bestenfalls nur einige Wochen dauern würde, bis man ihn aufgespürt hatte. Der Einzige, dem er seinen Plan anvertraut hatte, war Geoffrey Tomlinson, sein Vermögensverwalter. Er konnte sich darauf verlassen, dass der gute alte Geoffrey den Mund hielt. Und vielleicht gelang es ihm selber, sich etwas einfallen zu lassen, womit er Miss Brant schonend beibringen konnte, dass man nicht zueinander passe. Natürlich hätte er das schon längst tun sollen, bevor Corisandes Hoffnungen unübersehbare Ausmaße annahmen.
Plötzlich wurde seine
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