Cordina's Royal Family 1-4
hatte vorhin beim Anblick der Zeitung überreagiert, das wurde ihr jetzt klar. Trotzdem hatte ihre Wut auch etwas Befreiendes gehabt. Am Ende aber hatte sie sich schnell von ihrem Schock erholt, und zwar wesentlich schneller, als sie es noch vor einer Woche getan hätte.
Was bedeutete, dass sie inzwischen stärker war, ruhiger. War das nicht der Beweis dafür, dass sie das Richtige tat?
Aber jetzt wurde es Zeit, die Sache zu vergessen und sich wieder dem Augenblick zuzuwenden.
„Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich wollte mich wenigstens noch einmal ganz kurz umsehen.”
„Ihr Auto müsste eigentlich morgen fertig sein, obwohl es auch noch einen Tag länger dauern kann. Carl behauptet, völlig überlastet zu sein.
Aber wenn Sie das nächste Mal Touristin spielen wollen, tun Sie es gefälligst mit Ihrer eigenen Zeit.”
„Worauf Sie sich verlassen können. Ich soll Ihnen übrigens einen schönen Gruß von Sarah Lattimer aus dem Antiquitätenladen bestellen. Obwohl es mich wundert, dass eine so zuvorkommende und höfliche Frau überhaupt jemals mit Ihnen ausgegangen ist.”
„Damals war sie noch jung und dumm.”
„Ein Glück für sie, dass sie reifer und weiser geworden ist.”
„Da haben Sie Recht.” Er hörte ihr leises Kichern. „Was ist daran so lustig?”
„Es ist schwer, Sie zu beleidigen, wenn Sie mir zustimmen.” Nur gut, dass er so viel interessanter war als ein blödes Foto in einer Schundzeitung. „Ich mag Sie.”
„Was nur heißt, dass Sie ebenfalls jung und dumm sind, richtig?”
Sie lächelte, dann amüsierte sie sie beide, indem sie sich zu ihm herüberbeugte und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange gab. „Wie man sieht.”
6. KAPITEL
Ich habe eine herrliche Zeit. Ich hatte nicht vor, so lange an ein und demselben Ort zu bleiben oder so lange ein und dasselbe zu tun. Aber es ist so schön hier, und es gibt viel Aufregendes zu tun.
Archäologie ist wirklich eine faszinierende Angelegenheit. In meinen Augen ist sie noch viel interessanter und vielseitiger als Geschichte, die mir immer großen Spaß gemacht hat. Sie schlägt mich mehr in Bann als alles, womit ich bisher in Berührung gekommen bin.
Wer, wo, wann, was, warum? Wie haben Menschen gelebt, wie haben sie ihre Kinder großgezogen, wie sind sie mit ihren Alten umgegangen?
Was haben sie gegessen, wie haben sie ihre Speisen zubereitet? Was für Feste haben sie gefeiert, und welche Rituale haben sie zelebriert? Das alles und noch viel mehr. Können wir nicht daraus, wie die Menschen früher gelebt haben, ungeheuer viel ableiten ?
Delaney weiß so viel, und so vieles von dem, was er weiß, ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen, so wie es bei einem richtigen Lehrer der Fall ist. Nicht dass Wissen an sich für ihn selbstverständlich wäre. Er sucht danach, jeden Tag, ununterbrochen. Er brennt schier vor Wissensdurst.
Ich bewundere diese Hingabe, mit der er sich seinem Beruf widmet, ich finde sie beneidenswert. Und faszinierend.
Ich fühle mich zu seinem Verstand hingezogen, zu all diesen unendlich vielen Verästelungen, der Komplexität seines Denkens. Mit ihm …na schön … für ihn zu arbeiten ist eine Herausforderung, und an manchen Abenden bin ich körperlich völlig erschöpft. Aber der Mann ist unglaublich zäh. Obwohl er gesundheitlich immer noch angeschlagen ist, hat er ein unglaubliches Durchhaltevermögen. Es ist beeindruckend, wie er sich über viele Stunden hinweg vollkommen in seiner Arbeit verlieren kann.
Und es ist aufregend für mich, dasselbe zu tun, was er tut. Ich studiere jahrhundertealte Knochen. In Plastik eingeschweißte, natürlich.
Und frage mich dabei, wie sie sich wohl anfühlen mögen. Wenn mir noch vor zwei Wochen jemand gesagt hätte, dass ich mich mit menschlichen Knochen beschäftigen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt.
Mein größter Wunsch ist es, irgendwann einmal an Ausgrabungsarbeiten teilzunehmen. Obwohl Delaney sehr eindrucksvoll davon erzählen kann, ist es doch etwas anderes, wenn man es selbst miterlebt.
Das möchte ich tun, nur für mich allein. Ich habe mir vorgenommen, Seminare zu besuchen, wenn ich wieder zu Hause bin, und an etwas, das Delaney leicht verächtlich „Rucksacktouren” nennt, teilzunehmen – das sind Workshopsfür Laien und Studenten an Ausgrabungsorten.
Ich glaube, ich habe einen Beruf gefunden, der zu meiner Berufung werden könnte.
Auf einer persönlichen Ebene ist Delaney mindestens in der Hälfte der Fälle
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