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Corina 01 - Dämonisch verführt

Corina 01 - Dämonisch verführt

Titel: Corina 01 - Dämonisch verführt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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dort, wo es eigentlich sein sollte. Eins der beiden Rattenwesen hatte etwas bekommen, das an ein menschliches Bein erinnerte; ich hatte zuerst angenommen, dass es für den Nachtisch bestimmt war. Ich wandte den Blick ab, als mir klar wurde, dass es aus der pelzbesetzten Hüfte ragte und sich so bewegte, als suchte es auf dem blutverschmierten Boden nach Halt.
    Nach fünf Jahrhunderten des Schreckens ging mir kaum noch etwas an die Nieren. Ich konnte Abscheu empfinden, aber Entsetzen stand nicht mehr auf meiner Empfindungsliste. Zum letzten Mal war ich während des Ersten Weltkriegs entsetzt gewesen, als mich eine Jagd in französische Schützengräben brachte, kurz nach der Schlacht an der Somme. Ein ganzer Berg aus Leichen — so zerfetzt und blutig, dass sich nicht mehr feststellen ließ, zu welcher Seite sie gehörten - fiel auf mich herab, als ich mit einem Wiedergänger Versteck spielte. Es war alles andere als angenehm gewesen, darunter hervorzukriechen. Manchmal träumte ich noch davon, durch Schlamm zu rutschen, umgeben von verwesenden Leichen, während mir ein gesplittertes Schienbein in die Rippen stach und Ratten so groß wie Kaninchen den Festschmaus genossen, den ihnen der Mensch in seiner grenzenlosen Dummheit geschenkt hatte. Einige Männer in dem Leichenberg hatten noch gelebt, waren aber dank eines vor kurzer Zeit erfolgten Senfgasangriffs damit beschäftigt gewesen, sich die Lunge in Form von rosaroten Fetzen aus dem Leib zu husten. Ich leistete bei einigen von ihnen Sterbehilfe, machte mich dann auf und davon und ließ den Wiedergänger zurück. Es war das erste und einzige Mal, dass ich von einer Jagdbeute fortlief, und ich war nicht stolz darauf. Aber ich glaubte wenigstens, das schrecklichste Gesicht der Menschheit gesehen zu haben.
    Ich hatte mich geirrt.
    Was mir am meisten zusetzte, war vermutlich das instinktive Wissen: Was auch immer diese Wesen waren, sie verdankten ihre Existenz keinem Zufall. Ich beobachtete, wie ein Geschöpf mit einem Wolfskopf und dem Körper einer zu groß gewordenen Eidechse auf uns zukroch, und Speichel aus dem geöffneten Rachen mit den langen Reißzähnen tropfte - es war ein Anblick, der mich nicht nur mit Abscheu erfüllte, sondern auch Mitleid in mir weckte. Eine Sekunde später schob heißer Zorn alles beiseite.
    »Ist das dein neues Hobby, Radu?« Deshalb hatte er nicht gewollt, dass ihm jemand folgte! »Und ich habe erst vor kurzer Zeit jemandem gesagt, einer meiner Onkel sei einigermaßen normal. Ich furchte, das war maßlos übertrieben.«
    »Bitte, Dorina, es ist nicht so, wie du glaubst…«
    »Ich heiße Dory!« Ich merkte plötzlich, dass ich Radu in einem Griff hatte, der bei einem Menschen gleich mehrere Rippen gebrochen hätte. Ich stieß ihn fort, und er sackte bei den Resten der Miezekatze zusammen, zum Arger der beiden Ratten, die sich mit lautem Fiepen beschwerten. Er stand auf und machte einige Schritte in meine Richtung, blieb dann aber stehen und schien zu überlegen, welches Risiko größer war. Wenn er getan hatte, was ich vermutete, stellte ich zweifellos die größere Gefahr für ihn dar. »Na schön, sag mir, was ich denken soll. Denn du möchtest nicht einmal wissen, welche Gedanken mir gerade durch den Kopf gehen.«
    »Du solltest gar nicht hier sein!«, jammerte Radu und war den Tränen nahe. »Du hättest das nicht sehen sollen!«
    »Darauf wette ich.« Der Gestank von den Käfigen und den Eingeweiden, über die sich die beiden großen Ratten gerade hermachten, ging mir allmählich echt auf die Nerven. Ich hatte Schlimmeres gerochen, aber das bedeutete nicht, dass mir dieser Geruch gefallen musste. »Komm. Du kannst es mir erklären, während ich eine neue Jacke stehle.«
    Mirceas Quartier in MAGIE war wie sein Besitzer raffiniert, prächtig und auch ein bisschen einschüchternd, wobei die Größe vielleicht etwas mit dem letzten Punkt zu tun hatte. Dem imposanten Foyer folgten ein Empfangszimmer, ein intim wirkendes Esszimmer, eine Bibliothek und ein Bad so groß wie mein Büro. Es gab zwei größere Schlafzimmer - eins davon diente Radu vorübergehend als Unterkunft - und fünf kleinere, für den Kall, dass jemand eine ganze Horde an Bediensteten brauchte, vermutete ich. Der einzige, den ich bisher gesehen hatte, war ein alter griesgrämiger Engländer - natürlich ein Vampir -, den Mircea vor langer Zeit an seinen Bruder ausgeliehen hatte. Ich argwöhnte, dass weniger Großzügigkeit dahintersteckte, als vielmehr die ständige

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