Corum 04 - Das kalte Reich
Brüllen. War das die Stimme von Kerenos, dem Führer der Fhoi Myore? Aber das Brüllen klang hinter den Streitwagen auf.
Ein noch größerer, dunklerer Schatten erhob sich im Rücken der Fhoi Myore. Corum keuchte, als er ihn erkannte. Es war der Schwarze Bulle von Crinanass, ins Gigantische gewachsen, ohne dabei von seiner Masse eingebüßt zu haben. Er senkte seine Hörner und stieß einen der Fhoi Myore von seinem Streitwagen, warf ihn hoch in die Luft, fing den Gott mit seinen Hörnern auf und schleuderte den Gott wieder hoch.
Panik überkam die Fhoi Myore. Sie wendeten ihre Streitwagen und ergriffen die Flucht. Corum sah Prinz Gaynor als winzige, erschreckte Gestalt neben ihnen laufen. Der Nebel flutete schneller als eine Brandungswelle hinter ihnen her. Er zog über den Wald, in die Ebene dahinter und verschwand am Horizont. Zurück blieb der Schwarze Bulle von Crinanass, der wieder auf seine normale Größe geschrumpft war. Er begann auf dem Schlachtfeld zwischen den Körpern der Erschlagenen zu weiden. Aber auf seinen Hörnern waren deutlich die dunklen Spritzer zu sehen, und Fleischfetzen lagen um ihn verstreut. Und zur Linken des Schwarzen Bullen lag ein umgestürzter riesiger Streitwagen, viel größer als der Bulle. Es war ein roh aus Holz und Weidengeflecht gezimmertes Gefährt, dessen Räder sich noch drehten.
Die Menschen von Caer Mahlod brachen nicht in Jubel aus. Sie konnten noch nicht fassen, was sie gesehen hatten. Langsam versammelten sie sich auf den Mauerkronen und betrachteten die Verwüstung vor ihnen.
Corum schritt langsam die Stufen des Turmes hinab, schritt durch das Tor von Caer Mahlod und schritt über das verwüstete Land zu dem grasenden Bullen. Er wußte nicht, warum er zu dem Bullen ging. Und dieses Mal blieb das Tier stehen, wartete auf ihn und starrte ihm in die Augen.
»Du mußt mich jetzt töten«, sagte der Schwarze Bulle von Crinanass, »dann ist mein Schicksal erfüllt.« Er sprach in der reinen Hochsprache der Vadhagh und der Sidhi. Er sprach ruhig, aber traurig.
»Ich kann dich nicht erschlagen«, antwortete Corum. »Du hast uns alle gerettet. Du hast einen der Fhoi Myore getötet, so daß nur noch sechs geblieben sind. Caer Mahlod steht noch, und viele ihrer Menschen leben noch, weil du für sie gekämpft hast.«
»Du warst es, der für sie gekämpft hat«, erwiderte der Bulle. »Du hast den Speer Bryionak gefunden. Du hast mich gerufen. Ich weiß, was zu geschehen hat.«
»Warum muß ich dich töten?«
»Es ist mein Schicksal. Es ist notwendig.«
»So sei es«, sagte Corum. »Ich werde tun, was du verlangst.«
Und er nahm den Speer Bryionak und schleuderte ihn in das Herz des Schwarzen Bullen von Crinanass. Und ein Blutstrom schoß aus dem Leib des Bullen. Und diesmal blieb der Speer, wo er war, und kehrte nicht in Corums Hand zurück.
Über das ganze Schlachtfeld rannte der Schwarze Bulle von Crinanass. Durch den Wald rannte er und über das Moor. Er rannte die Klippen am Meer entlang. Und sein Blut wusch das ganze Land, und wo das Blut das Land berührte, wurde es grün, und Blumen wuchsen, und an den Bäumen erschienen Knospen. Und langsam, sehr langsam, klarte der Himmel auf, und die Wolken flohen in das Totenland der Fhoi Myore, und der Himmel wurde blau und warm, und die Sonne schien. Und als die Sonne ihre Wärme über das ganze Land von Caer Mahlod ergoß, rannte der Bulle zu den Klippen von Burg Erorn. Und der Bulle sprang über den Abgrund, der den Felsen von Erorn vom Festland trennte, und blieb neben dem Turm von Erorn stehen. Er brach in die Knie, während noch immer das Blut aus seiner Wunde sprudelte. Er sah zurück zu Corum, dann erhob er sich wieder und lief zur Spitze des Felsens und stürzte sich ins Meer. Und der Speer Bryionak steckte im Herzen des Schwarzen Bullen von Crinanass und ward niemals wieder in den Landen der Sterblichen gesehen.
Epilog
Und dies ist das Ende der Geschichte vom kalten Reich, vom Bullen und vom Speer.
Alle Zeichen des kalten Reiches verschwanden von Hügel, Wald und Ebene. Der Sommer kam endlich nach Caer Mahlod, und viele glaubten, daß das Blut des Schwarzen Bullen von Crinanass das Land für immer gegen das Kalte Volk schützte.
Und Corum Jhaelen Irsei, aus dem Volk der Vadhagh, führte ein Leben unter den Tuha-na-Cremm Croich, und das war ihnen ein besonderer Pfand für ihre Sicherheit. Selbst die alte Frau von der eisigen Ebene mit den erstarrten Kriegern murmelte nicht länger ihre düsteren Warnungen.
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