Corum 06 - Das gelbe Streitross
betonte ihre Unterschiedlichkeit in Blut und Herkunft. Er sah ihr in die Augen, und sein Blick hatte nichts Liebevolles. Sie erkannte etwas Fremdes in diesem Blick und wich verunsichert einen Schritt von ihm zurück. Ihre Arme vielen an ihre Seite. Er erkannte, daß er das Gegenteil von dem erreichte, was er sich von seinem Besuch bei Medheb versprochen hatte. Nun war auch sie verwirrt. Er hatte sie zurückgewiesen. Aber hatte sie nicht selbst durch ihre Bemerkung erst eine Wand zwischen ihnen beiden aufgebaut? Denn auch wenn ihr Lächeln voll Liebe gewesen war, hatten ihre Worte ihn irgendwie verletzt. Er wandte sich ab und sagte kühl:
»Nun habe ich mir meinen Wunsch erfüllt. Ich werde jetzt Ilbrec einen Besuch abstatten.«
Er wünschte sich so sehr, sie würde ihn bitten zu bleiben, aber er wußte, daß sie das nicht konnte; genau so wenig wie er es ertragen konnte, noch länger hier zu bleiben. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Saal.
Und im Stillen verfluchte er Jhary-a-Conel, weil dieser den Tag mit seinen düsteren Gedanken vergiftet zu haben schien. Von Jhary konnte man sonst Besseres erwarten.
Doch er wußte auch, daß man bei gerechter Betrachtungsweise einfach zu viel von Jhary verlangte. Jhary hatte sich, wenn auch nur für den Augenblick, diesen überzogenen Anforderungen entzogen. Und Corum begriff, daß er selbst begann, sich zu sehr auf die Stärke anderer zu verlassen und nicht mehr Ruhe und Sicherheit bei sich selbst suchte. Welches Recht hatte er Stärke bei anderen zu erwarten, solange er bei sich selbst Schwäche duldete?
»Ich mag wohl der Ewige Held sein«, murmelte er vor sich hin, als er seine eigenen Räume erreichte, die er nun mit Medheb teilte, »aber zum ewigen Helden scheint auch ewiges Selbstmitleid zu gehören. Jedenfalls sieht es manchmal so aus.«
Und er warf sich auf sein Bett und dachte über seinen Charakter nach, und schließlich begann er zu lächeln, und seine düstere Stimmung begann zu verfliegen.
»Eins läßt sich nicht bestreiten«, sagte er, »Untätigkeit bekommt mir nicht im geringsten. Sie ermuntert alle schwermütigen, grüblerischen Züge meines Charakters. Meine Bestimmung ist die eineKriegers. Vielleicht sollte ich mich nur noch auf Taten konzentrieren und alle Grübeleien denen überlassen, die mehr vom Denken verstehen.« Er lachte und begann seine eigenen Schwächen zu respektieren, aber er faßte gleichzeitig den festen Vorsatz, sich von diesen Schwächen nicht mehr an seiner Aufgabe irre machen zu lassen.
Dann stand er auf und machte sich auf den Weg zu Ilbrec.
II
Eine rote Klinge wird geschmiedet
Corum suchte sich seinen Weg durch das Lager zu Ilbrecs Zelt. Er wich Seilen und Zeltpflöcken aus. Rings um ihn herum knatterten die Zeltbahnen im Wind. Endlich kam er vor dem riesigen Pavillon an, dessen seeblaue Seide sich im Wind wellte, und er rief:
»Ilbrec! Sohn des Manannan, seid Ihr da drinnen?« Als Antwort erklang ein gleichmäßiges schleifendes Geräusch, mit dem Corum zunächst nichts anfangen konnte, bis er es lächelnd erkannte. Er rief erneut, diesmal mit lauterer Stimme:
»Ilbrec! Ich höre, daß Ihr Euch auf die Schlacht vorbereitet. Darf ich eintreten?«
Das schleifende Geräusch verstummte, und die vergnügte, dröhnende Stimme des jungen Riesen antwortete: »Tretet ein, Corum. Ihr seid mir willkommen.« Corum zog eine Zeltbahn zur Seite. Das einzige Licht im Inneren des Zeltes war das Sonnenlicht, das durch die Seide drang und den Eindruck einer blauen Unterwasserhöhle vermittelte, nicht unähnlich Ilbrecs eigenem Reich unter den Wogen. Ilbrec saß auf einer schweren Truhe, sein Schwert Vergelter über den Knien. In seiner Hand hielt er einen Stein, mit dem er das Schwert schliff. Ilbrecs goldenes Haar hing in losen Flechten über seine Brust. Heute war auch sein Bart zu kleinen Zöpfen geflochten. Er trug einen einfachen grünen Umhang und bis zu den Knien geschnürte Sandalen. In einer Ecke des Zeltes lag seine Rüstung; sein Brustharnisch aus Bronze mit Reliefen, die eine große, stilisierte Sonne zeigten, in deren Kreis Bilder von Schiffen und Fischen zu sehen waren; sein Schild, der nur das Sonnensymbol zeigte, und sein Helm, den ein ähnliches Motiv schmückte. An seinem leicht gebräunten Arm trug Ilbrec mehrere schwere Reife oberhalb und unterhalb des Ellbogens, die ebenfalls aus Gold waren und zu den Motiven der Rüstung paßten. Ilbrec, Sohn des größten aller Sidhi-Helden, war volle vier Meter groß und wohl
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