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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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als ich ihn sah, sein Körper, mir gefiel sein Lachen, das mir eine latente Ahnung seiner innere Werte gab. Aber an jenem Abend in seiner Wohnung pfiff ich auf sie. Es waren die stille Melancholie des Sex' und die Ruhe seiner Umarmungen, als wir die Lust überwunden hatten und ruhig und zärtlich nebeneinander schliefen, weshalb ich ihn wiedersehen wollte - das Versprechen von Liebe. Unsere Seelen waren anwesend, als wir miteinander schliefen. Sie haben sich versteckt und uns begleitet. Aber verliebt habe ich mich in seinen Körper.
          Die Gefühle überschwemmen mich wie die Elbe den Hafen bei einer Sturmflut. Alles ist da, als ich Darius sehe, die stille tiefe Freude an ihm, die Wärme, die mich schon immer durchfloss, wenn ich ihn sah oder an ihn dachte, die Tränen vor Glück, die Tränen vor Schmerz, Sehnsucht, Suche, Leidenschaft, Verzweiflung, Wut.
          Ohne mich zu beachten, geht er zügig an meinem Tisch vorbei, so nah, dass ich ihn an seinem Arm festhalten könnte. Ich möchte meine Hand ausstrecken, ihn berühren, die leicht schmirgelnde Haut spüren, die ich bei niemandem je wieder erlebt habe. Doch wie gelähmt lasse ich sie auf dem Tisch liegen. Ich möchte seinen Namen rufen, bringe nichts weiter hervor als trockenes Räuspern, als müsste ich husten. Darius huscht vorbei, schon kann ich nur noch seinen Rücken sehen, das leichte Pendeln seines Hinterns bei jedem Schritt. Noch immer ist sein linker Fuß leicht nach außen gebogen, allen Einlagen zum Trotz, die er in den fünfzig Jahren hätte tragen können.
          »Darius!« Endlich funktioniert meine Stimme wieder. Kurz warte ich, ob er sich umdrehen wird, zwei Sekunden vielleicht, dann rufe ich erneut: »Darius!« Sicher ist es aussichtslos. Es sind viel zu viele Menschen auf dem Schwimmponton, es ist zu laut, zu hektisch, zu voll. Eine leichte Irritation scheint ihn zu erfassen, fast unmerklich verzögert er seinen Schritt, lauscht in die Geräuschkulisse.
          »Darius!« Ich versuche, lauter zu rufen, weiß nicht, ob mir das gelingt. Es ist mir peinlich, denn trotz des Lärms ist es um mich herum auf einmal still.
          Darius zögert, dreht sich langsam um, ich rufe erneut, schaffe es, die gerade noch gelähmte Hand zu bewegen, in die Luft zu halten und zu winken. Unsicher kommt der junge Mann auf mich zu, ich zweifle plötzlich, ob es wirklich Darius ist. Aber wenn er es nicht ist, muss es ein eineiiger Zwilling von ihm sein. Sein Gesicht sieht fragend aus, die Stirn ist leicht in Falten gezogen, doch er bleibt vor mir stehen.
          »Meinen Sie mich?«, fragt er.
          »Darius?«, frage ich.
          Er nickt, betrachtet mein Gesicht auf der Suche nach einer Erinnerung, forscht in den Spuren der Vergangenheit, in den Furchen des Lebens, ob er ein Gesicht herausschälen kann, das er kennt.
          »Siegfried«, sage ich. »Erinnerst du dich?«
          Wie mechanisch setzt er sich zu mir, fast, als merkte er nicht einmal, dass er den Stuhl vom Tisch zieht. Er erscheint mir etwas schlanker als vor fünfzig Jahren, während ich nicht mehr so dürr bin. Der Stoffwechsel des Alters hat mir ein paar Pfunde geschenkt, fast zu viel. Ein gefälschter Raddampfer legt am Kai an, die Wellen klatschen hörbar an den Ponton, ein Kind plärrt - vielleicht wegen der Kälte, vielleicht, weil es Hunger hat. Darius schüttelt weder den Kopf noch nickt er. Er starrt mich an, winkt der Bedienung und bestellt ein Alsterwasser.
          »München?«
          »Ja.«
          »Mann ist das lange her.«
          ›Das sieht man dir nicht an‹, möchte ich sagen, aber aus irgendeinem Grund habe ich Angst, dann springt er sofort auf und flieht, also nicke ich nur.
          »Du bist es«, sagt Darius und es klingt genauso staunend, wie am Morgen des zwölften Januar 1955. »Du bist voller geworden, das steht dir gut. Wenn du mich nicht angesprochen hättest, hätte ich dich nicht erkannt, tut mir leid. Aber jetzt, da ich dich anschaue, bist du es. Du hast noch immer das kleine Muttermal links in der Nasenbeuge.«
          »Ich bin älter geworden, das muss dir nicht leidtun.«
          Mein Grog ist längst kalt geworden. Ich nehme einen Schluck, spüre Darius’ Blick auf meinem Gesicht, bis die Kellnerin ihm das Alsterwasser auf den Tisch stellt, er sie anlächelt und sich bedankt.
          Die Zeit hat sich wie ein dämpfender Teppich über die Gefühle gelegt, so lebendig sie auch sind, so irreal

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