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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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kommen sie mir vor. Wie Bilder aus einem Schwarz-Weiß-Film. Der Schmerz flattert in unruhigen Bildern vor mir, das Glück lacht grau und in rissigen Streifen, der Projektor rattert im Kopf und ab und zu zeigen weiße geometrische Zeichen an, es wird Zeit die Spule zu wechseln. Und der Schauspieler sitzt mir gegenüber, holt die Fantasien und Gefühle in die Realität und schiebt sie gleichzeitig weit in die Imagination. Denn er hat sich nicht verändert.
          »Keine Vorwürfe?«, fragt Darius.
          Ich schüttle den Kopf. »Hätte ich dich früher getroffen, hätte ich dir wohl einige gemacht.«
          »Keine Fragen?«
          Jede Menge an Fragen, viel zu viele, um sie zu stellen. Und vielleicht täte ich es, würde ich träumen, säße er mir nicht in der Realität gegenüber und verzerrte diese.
          »Nein. Vielleicht später.«
          »Dich hat die Kunst nach Hamburg verschlagen, oder …?« Darius nimmt einen Schluck Alsterwasser, wischt sich den Schaum vom Mund und schaut mich wieder an. Ich sehe ihn an, möchte etwas antworten, ihm sagen, wie lange ich mir diesen Moment gewünscht habe, möchte wissen, warum er damals einfach gegangen ist, ohne ein Wort, möchte hören, was er seitdem erlebt hat, warum er nicht älter geworden ist – wie sehr hätte ich mir auch das in manchen Jahren gewünscht – möchte den Augenblick genießen und ihn mit keinem Wort stören, in schweigender Übereinkunft spüren, es hat sich nichts verändert zwischen uns. Jedes Wort ist von der Angst begleitet, zu laut, zu forsch, zu bohrend zu sein, jeder Satz von der Furcht, er könnte den Augenblick zerstören, Darius vertreiben und ihn für immer von mir trennen.
          »Um ehrlich zu sein, warst es du. Ich wollte dich vergessen.« Mein Herz klopft bei diesem Satz, ich mache mich bereit, Darius festzuhalten, sollte er aufstehen, aber die Wahrheit ist mächtiger als meine Angst, sie presste den Satz hervor, noch bevor ich sie kontrollieren konnte. »Da passte es gut, dass ich gerade alles verloren hatte. Ich wollte neu anfangen, auch wenn ich nicht wusste, wie. Hamburg war die Stadt, die mir am weitesten entfernt vorkam, als ich das Bahnticket löste.«
          Darius zündet sich eine Zigarette an, hält mir die Schachtel hin. Ich greife zu, um der Erinnerung willen. Eigentlich habe ich längst aufgehört zu rauchen. Es ist noch dasselbe Benzinfeuerzeug, zu dem ich mich bücke.
          »Ist es dir gelungen?«
          »Ich habe gut davon gelebt, dich nicht zu vergessen.«
          Obwohl der Satz Schokolade enthält, erschrecke ich selbst über den Geschmack ranziger Bitternis. Doch Vorwürfe – auch nach so vielen Jahren noch. Vorwürfe, die ich längst begraben glaubte. Ist es nicht schön, jemanden nicht vergessen zu können, ehrt nicht der Eindruck, den er hinterlassen hat? An seiner Stelle ließe ich das Bier stehen, aber er bleibt sitzen, lächelt und legt eine Hand auf meine. Einen Augenblick lang frage ich mich, ob er die Poster nie gesehen hat, ob die Presseberichte vor ihm verborgen geblieben sind.
          »Es klingt nicht glaubwürdig, wenn ich dich nicht einmal erkannt habe, aber ich habe dich auch nicht vergessen.« Er nimmt die Hand wieder fort, sieht einen winzigen Moment an sich herunter und schaut mich wieder an.
          »Du siehst mein Geheimnis. Du bist der Erste, der es sieht. Ich musste damals gehen, so schmerzhaft es auch war. Nicht nur deshalb.«
          

4.
          
          Ich spürte die Temperatur nicht, als ich an jenem Morgen durch die Januarkälte stapfte. Den Schal hatte ich vergessen, den Dufflecoat ließ ich geöffnet. Es machte mir nichts aus, die Kleidung vom Vortag noch einmal zu tragen, auch wenn das Hemd etwas zerknittert war. Darius hatte mich mit so viel Glück angefüllt, dass ich schreien wollte. Es trieb mich an, verlängerte die Schritte, die mich von ihm wegtrugen, dabei wollte ich doch bleiben.
          Ich würde ihn wiedersehen, daran zweifelte ich keine Sekunde. Seine Verabschiedung hat keine Fragen offen gelassen. In dieser Zuversicht fiel der Weg zum Theater leicht. In dieser Gewissheit gingen mir die Arbeiten des Tages wie im Schlaf von der Hand, und die Stunden verflogen, wenn auch nicht schnell genug.
          Zum Feierabend schaute ich nicht, ob Darius auf dem Gärtnerplatz stand. Ich hatte das Bedürfnis, mich zu waschen und meine Kleidung zu wechseln. Also ging ich direkt nach Hause, vermisste den Schal,

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