Eve - Das brennende Leben
Prolog
Der Aufenthaltsraum der Station war fast leer. Man hörte nur das leise Summen der Generatoren in der Ferne und unregelmäßige Vibrationen, wenn ein Raumschiff aus dem nahegelegenen Raumhafen ablegte. Durch die riesigen Panoramafenster sah man hin und wieder, wie sich ein Transportschiff in Warp-Position brachte. Glitzernd wurden die Sonnenstrahlen von den Metallhüllen reflektiert.
Der einzige Insasse des Aufenthaltsraums saß regungslos da und starrte hinaus auf die Schiffe und die Sterne in dem dunklen All dahinter. Es handelte sich um einen alten Mann mit strähnigen grauen Haaren. Größe und Gewicht waren durchschnittlich ; alles in allem war er jemand, den man nach einer Begegnung sofort wieder vergaß. Sein Name war ein Allerweltsname. Es gab nur sehr wenige Spuren von ihm im Stationslog – und auch die würde er schnell beseitigen können, sollte er einmal nachweisen müssen, dass er nie auf dieser Station gewesen war.
Leise Schritte waren zu hören. Jemand schlenderte von der anderen Seite des Aufenthaltsraums her auf ihn zu.
Dann erklang hinter ihm die Stimme eines viel jüngeren Mannes: »Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«
Er drehte sich um. Der Besucher trug einfache, aber dennoch
stilvolle und aufwändig geschneiderte Kleidung, wie es sich für jemand, der in der Verwaltung einer gewaltigen Raumstation arbeitete, gehörte.
Der ältere Mann nickte ihm zu. »Ich war ohnehin in der Gegend. Wenn Sie irgendwelche Probleme haben, werde ich tun, was ich kann. Ich vermute allerdings, dass ich bereits weiß, worum es geht.«
Der junge Mann sagte: »Es ist wieder geschehen. Diesmal sind es Tausende.«
Der ältere Mann seufzte.
»Das muss aufhören«, fügte der jüngere hinzu.
»Wir müssen vorsichtig sein. Auf die richtige Gelegenheit warten«, erwiderte der alte Mann.
»Wir können nicht ewig warten.«
»Wir haben unsere Fühler nach Leuten ausgestreckt«, sagte der Alte.
»Es gibt bereits viele Pläne …«
»Pläne sind leicht gemacht und können im Keim erstickt werden. Wir brauchen die richtigen Leute, die auch wirklich etwas Nachhaltiges bewirken können.«
Der junge Mann atmete tief durch. Worte waren sehr mächtig und mussten sorgfältig gewählt werden. »Wir arbeiten für dieselbe Sache. Sie wissen, dass ich daran nie zweifeln würde. Aber es ist frustrierend. Es ist so wahnsinnig frustrierend. Tausende – und das nur heute.«
Der alte Mann nickte mitfühlend. Er schaute wieder durch das Panoramafenster auf die unzähligen Sterne, die in der Ferne funkelten. »Es wird sich etwas finden«, sagte er, »Und sobald das der Fall ist, wird sich alles ändern.«
»Das muss es auch«, bekräftigte der junge Mann und wandte sich zum Gehen. »Denn solange wir das Problem nicht in den Griff bekommen, ist jedes verlorene Leben eine Verschwendung sondergleichen.«
TEIL 1
LEBEN
1. Kapitel
»Wir werden den Körper in uns aufnehmen und sein Blut heiligen, auf dass er wiedergeboren werde.«
Es schien, als ob die Luft aus der Wohnung abgesaugt und gegen gasförmiges Formaldehyd, das alles und jeden in Stasis versetzte, ausgetauscht worden war. Die Teilnehmer hatten kleine Gruppen gebildet. Die Männer standen herum und starrten grimmig schweigend den Boden an, die Frauen hingegen saßen, weinten und trösteten sich gegenseitig. Man befand sich in der Wohnung eines jungen Mannes. Sie war kaum mehr als eine Art Studio mit einem angrenzenden Schlafzimmer. Die Tür, die ins Schlafzimmer führte, stand einen Spalt weit offen.
Drem Valate war vollkommen von seinen Gefühlen übermannt und fühlte sich wie ein Schlafwandler. Er ging zu seinen Großmüttern und umarmte beide. Jede von ihnen trug eine Halskette, an der eine winzige goldene Phiole hing; beide fingerten unaufhörlich daran herum. »Wir werden ihn in uns aufnehmen, Lieber«, stammelten sie mit zitternder Stimme. »Wir werden ihn in unseren Schoß aufnehmen und sein Blut zu dem unseren machen.«
Das war ein altes Gebet der Sani Sabik, das in schweren Zeiten gesprochen wurde. Sie murmelten es wie eine endlose Litanei. »Wir werden den Körper in uns aufnehmen und sein
Blut heiligen, wir werden ihn aufzehren, bis er verschwunden ist, und seine Seele wird wiederauferstehen.« Sie weinten nicht, weil sie zu alt und erschöpft waren, dennoch tropften die Worte geradezu aus ihren Mündern.
Drem ließ sie los und schaute sich im Zimmer um. Er vermied es immer noch, die halboffene Tür anzusehen. In der Kolonie brach der Morgen
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