Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
das dunkle Brillengestell auf die Stirn geschoben, dich angeblinzelt und die Hände über dem Tisch gefaltet wie zum Gebet. Seine Fliege hat dabei über dem Adamsapfel vibriert. Er hat dich gefragt, was zwischen euch liefe und dir gedroht: Was du in deiner Freizeit machtest, ginge ihn nichts an. Dein überflüssiges Bekenntnis neulich hätte er nicht gehört, und wenn du unbedingt draußen am Platz jemanden aufgabeln müsstest, übersähe er es. Nicht aber würde er tolerieren, wenn du dich an Lehrlingen und Kollegen vergriffest.«
»Ich …« Ich stockte, suchte nach einer Rechtfertigung, warum ich mich nicht gewehrt habe, sah Darius in die Augen, wartete … »Mein Chef fuhr fahrig mit der Hand durch die Luft und schob die Brille wieder vor die Augen. Ich wollte ihm sagen, er müsse sich keine Sorgen machen, ich sei es nicht, der …«
Darius legte mir den Finger auf die Lippen. »Manchmal ist es besser, den Mund zu halten, egal, wie ungerecht einem etwas erscheint.«
»Darin war ich noch nie gut.«
»Ich weiß«, sagte Darius, streichelte wieder meinen Bauch, ganz leicht, nur mit den Fingerkuppen. »Doch Gott sei Dank warst du viel zu glücklich, um dir die Laune verderben zu lassen.«
Ich musste grinsen, hielt seine Hand fest, sah ihm ins Gesicht. »Du bist ganz schön eingebildet.« Dabei hatte er recht. Die Handbewegung hatte mir die gedachte Erwiderung abgeschnitten, ich mich wieder über meine Arbeit gebeugt, bis Fritz das nächste Mal an meinem Tisch stand. Er sagte nie etwas, wagte nicht einmal den Ansatz eines Gesprächs. Ich hatte versucht mich zu konzentrieren, während ich ihn in meiner Nähe mehr spürte, als sah. Das war auch bis zu der deutlichen Bemerkung meines Chefs gut gegangen. Fritz’ unbeholfene Annäherung hatte mich eher amüsiert, seine Mutlosigkeit erschreckt. Für Menschen wie ihn musste die Selbsterkenntnis so grausam sein wie das unsinnige Gesetz, das verbot, was nicht zu verbieten war. Menschen wie er besäßen nie den Mut, sich offen darüber zu stellen und zu kämpfen.
»Und du bist ungerecht.« Darius lächelte, ließ die festgehaltene Hand in meiner, sah mich nur an. »Du bist zwar mutig, aber auch du hast manchmal Angst. Und auch du möchtest nicht ins Gefängnis.«
»Woher weißt du das alles?« Natürlich spukte das Gefängnis als Damoklesschwert auch in meinen Gedanken, ich war nie ein Held.
Dieses Mal ließ Darius zu, dass ich mich aufrichtete und auf den Ellenbogen abstützte. »Woher weißt du, was ich fühle, was ich erlebt habe – so genau, als hättest du mich den ganzen Tag beobachtet?« Es war merkwürdig, wie ruhig ich war, kein bisschen verängstigt oder erschreckt. Es wunderte mich, was Darius über meinen Tag erzählte, ich konnte es mir nicht erklären, aber dieses Gefühl blieb zu dumpf und neblig hinter dem wieder aufkeimenden Ärger über Fritz, um das Geschehen infrage zu stellen.
»Dein Körper erzählt es mir.«
»So ein Verräter«, sagte ich lachend. Es war mir nicht unangenehm, was Darius alles wusste, ich schämte mich so wenig wie beim Sex, es war nur ungewohnt.
»Unsere Körper erzählen all unsere Geschichten«, erklärte Darius. »Und wenn wir sie berühren, hören wir ihnen zu. Man muss nur lernen, sie auch zu verstehen.«
»Oh Gott, dann möchte ich nicht wissen, was mein Körper dir gestern alles erzählt hat.« Ich schwankte zwischen Neugier und Flucht. Es war schön und gemütlich, auf diesem Sofa zu liegen, Darius neben mir auf der Kante, die eine Hand immer noch in meiner, die andere noch immer auf meinem Bauch. Mein Hemd nach oben geschoben, lauschten Darius’ Fingerkuppen den Geschichten meiner Haut, die ich nicht auswählen konnte. Ich hatte keine Kontrolle darüber, was mein Körper erzählte. Liebe ist Kontrollverlust. Muss es für uns Homosexuelle schon deshalb sein, weil wir mit jedem Akt ein Risiko eingehen. Oder zwingt uns die ständige Bedrohung, die Kontrolle nie so aufgeben zu können, wie es die Liebe verdient?
»Kann das jeder?«
»Jeder kann es lernen.« Er stand auf, ging zum Ofen, um Briketts nachzulegen, fragte, ob er noch Wasser aufsetzen solle, was ich verneinte. Ich blieb liegen, zog nur mein Hemd wieder hinunter.
»Bei dir macht es mir ja nichts aus«, sagte ich laut, während er mit dem Schürhaken in der Asche des Herds wühlte, »aber wenn ich mir
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