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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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dem Herd registrierte ich, als hätte ich sie selbst dort hingestellt. Auf einem Brett lag der Schinken. Der Fettrand war abgeschnitten und brutzelte in kleinen Stückchen in der Pfanne. Mein Herz klopfte noch etwas schneller, aber ich nahm die Eier, ohne mich zu fragen, woher sie kamen, schlug sie auf und briet sie. Vielleicht, wenn ich einfach beobachtet hätte, was passierte, hätte ich Eier wie von Geisterhand bewegt durch die Küche segeln gesehen, die sich am Ende selbst in die Pfanne gestürzt hätten. Aber ich nahm alles so hin, wunderte mich ein bisschen, ließ mich ein bisschen beunruhigen, doch arbeitete mit den Wundern Hand in Hand.
          Der zweite Teller blieb unberührt. Ich saß allein in der Gaststube, frühstückte, trank Kaffee, ging nach draußen und rauchte eine Zigarette. Niemand kam, weder Darius noch der Wolpertinger. Es war alles still, bis auf den Wind, der über den Wald zog, bis auf das Rascheln der Blätter, die über den Boden geweht wurden.
          Zurück in der Hütte räumte ich auf, spülte das Geschirr, stellte ›Der Nigger von Scharhörn‹ ins Regal, ging durch die Zimmer und schloss die Fensterklappen, überlegte, was ich mit dem Ofen und dem Herd machen sollte. Ich konnte doch nicht das Haus verlassen, während das Feuer noch brannte.
          Die haltbaren, unangebrochenen Lebensmittel stellte ich in den Keller unter der Küche, die anderen packte ich als Proviant in meinen Rucksack. Ich hatte einen langen Fußmarsch vor mir.
          Als ich fertig war, war auch das Feuer erloschen. Wie zum Zeichen für meine hier abgelaufene Zeit, hatten die Flammen das letzte Stück Holz gefressen und einen Berg Asche hinterlassen wie Knochen von Brathähnchen oder Gräten von Fisch. Keine Geisterhand ließ die Asche in Sekundenschnelle erkalten, kein Wolpertinger grub mir das Loch, in dem ich sie entsorgen konnte. Der Boden war trotz der Sonne noch gefroren, es lag kein Schnee, über den ich die Asche hätte streuen können. Wo hatte Darius sie gelassen, wenn er den Ofen gereinigt hat? Ich ging ums Haus, sah an einer Seitenwand in etwas Abstand zum Holz eine metallene Kiste, auf der »Streugut« stand. Hatte die schon die ganzen Tage dort gestanden? Der Deckel war zugeklappt aber unverschlossen, also öffnete ich ihn, überprüfte den Inhalt, und schüttete die Asche in die Kiste. Bis auf die Bettwäsche waren alle Spuren meiner Anwesenheit getilgt. Friedlich stand das Haus am Fuße des Bergs, sah wenig einladend und etwas verwittert aus. Ein letztes Mal betrat ich es, holte meinen Rucksack, schloss die Tür, legte den Schlüsselbund in die unauffällige Klappe neben der Regenrinne und ging.
          Ich hätte noch genug Geld für die Bahnfahrt nach München gehabt, warum ich nicht einmal kurz überlegte, es zu nutzen, weiß ich nicht. Seit ich am Morgen frisch und erholt aufgewacht war, wusste ich, dass ich zurücklaufen musste. Das merkwürdige Eigenleben der Hütte, die Eier, das reichhaltige Frühstück, die leichte Unsicherheit – alles waren für mich hypnotische Hinweise zur Stärkung eines Entschlusses gewesen, den ich gar nicht gefasst hatte. Nur kurz hatte ich den Gedanken, ich wollte vielleicht gar nicht zurück, schließlich wusste ich noch immer nicht, was ich tun sollte. Es gab keine logische Überlegung, kein Abwägen von Für und Wider, keine Planung, wo ich die Nächte verbringen sollte, nicht einmal Angst vor dem, was mich in München erwarten würde, obwohl die berechtigt gewesen wäre. Es gab nur eine unerklärliche Sicherheit über die nächsten Schritte: knappe hundertfünfzig Kilometer nach München. Immer an der Straße entlang, keine Wanderrouten. Was ich in München wollte, wusste ich nicht. Nur Darius würde ich aufsuchen, schon, um ihn zu fragen, warum er mich einfach verlassen hat. Noch war er nicht fort für mich, nur weg.
          

2.
          
          Wie hatte ich das vergessen können? Immer, wenn ich im Laufe meines Lebens wehmütig an Darius gedacht habe, und das habe ich häufiger als an Heinrich, meinen guten Freund aus Kindertagen und späterem Lebenspartner, habe ich an die Tage in München gedacht, die ich durch die Stadt lief, auf der Suche nach ihm. Ich habe an die Wanderungen in den Bergen gedacht, aber nicht daran, dass er mich schon dort verlassen hatte. Wenn ich Heinrich von ihm erzählt habe, was ihn jedes Mal gedemütigt hat, dann nie von diesen merkwürdigen Ereignissen in der Hütte, nie von diesem langen Marsch

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