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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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waren. Aber der Begriff Nigger weckte mein Interesse, weil er mir gleichzeitig so nah und so abwegig erschien. Abwegig, weil zehn Jahre nach Beendigung des Faschismus ein so offen rassistisches Wort einfach reizte, nah, weil ich mich in meinen Wünschen und Sehnsüchten gerade genauso fühlte wie ein Nigger.
          Ich aß meine Suppe, trank Tee, las über den Konfirmanden Hans und den schwarzen schiffbrüchigen Jungen Kubi, die sich anfreundeten und ein Zimmer im Leuchtturm teilten. ›Ein Zimmer teilen, zwei Jungen – wie Darius und ich – warum ist er nur gegangen?‹ Für die Urlauber und die anderen Bewohner und war der Junge nichts als ein Affe, die Hakenkreuzfahnen steckten in den Sandburgen, Hans wurde von den Jungen der Hitlerjugend umworben, hielt aber treu an seiner Freundschaft fest. ›Er hat sich nicht einfach davon geschlichen, seinen Freund nicht im Stich gelassen.‹
          Immer wieder rissen mich meine Gedanken an Darius aus dem fantasievollen Leben des Buchs, immer wieder tauchte sein Bild vor mir auf. Warum ist er gegangen? Am Abend zuvor hatten wir noch Pläne gemacht, wollten in die Reichenbachklamm gehen, durch die Schlucht an den Wasserfällen entlang, die unbändige Kraft der Natur bewundern. Aber er ist einfach verschwunden. Ohne ein Wort.
          Wenn ich fortgetragen wurde, aus dem Buch heraus in die quälenden Fragen, stand ich auf, schenkte Tee aus der Kanne auf dem Herd nach, und versuchte, mich wieder auf Hans und Kubi zu konzentrieren, bis mir ein weiterer Satz den Namen Darius wie einen Splitter ins Herz stach.
          Als ich müde wurde, legte ich das Buch zur Seite, stellte die Kanne vom Herd und ging ins Bett, ohne mir die Zähne zu putzen oder mich zu waschen. Ich brauchte nur die Augen zu schließen und mich auf den Rücken zu legen, um mir Darius’ Berührungen einzubilden, den Strom meiner Beschwerden, der durch meine Haut in seine Finger floss. Ob er ihn hörte, dort, wo er war?
          Ich bekam eine Erektion ohne mich zu berühren, onanierte, ohne Hand anzulegen. Es reichte die Vorstellung von den zarten Berührungen und des Stroms, der alle Traurigkeit, allen Ärger, alle Verzweiflung aufzusaugen schien. Es kribbelte in meinem Körper, als läge ich auf Brennnesseln. Und das Blut schoss in meinen Penis, als liefen Fliegen darüber, die ich nicht verscheuchen konnte. Wie in Trance genoss ich den Orgasmus. Schaute mir jemand zu? Ich lag aufgebahrt, wehrlos, ausgestellt wie ein Kunstwerk, ›hier meine Damen und Herren sehen sie den Orgasmus des Scheiterns, den Koitus eines Versagers‹, und gleichzeitig in Liebe aufgefangen, von der ich nicht wusste, woher sie kam. Hatte ich nicht gerade alles verloren? ›Zum Glück beschmutzt er damit nur das Bettzeug seiner Gastgeber, das ist zwar unhöflich aber auszuwaschen. Der tiefere Sinn dieser Installation liegt in der Darstellung darwinistischer Gesetze, nach denen das Schwache in der Natur immer unterliegt. Es setzt sich nicht fort. Als Symbol dafür steht der im Laken vertrocknende Same.‹
          Hochschrecken, mit der Hand über das Laken fassen, die feuchte Stelle ertasten. Sperma rann mir den Bauch hinunter. ›Bin ich so verdorben? Verlassen, aber der Gedanke an Sex tröstet mich? Vermisse ich Darius oder nur die Lust?‹
          »Du vermisst die Liebe.«
          Die Stimme, fest und klar, kam mir bekannt vor, aber ich wusste nicht, woher. Ich blickte mich in der Dunkelheit des Zimmers um. Schrank, Tisch und Stühle waren wie dunkle Schatten in schwachem Mondlicht zu sehen, wie auf einer unterbelichteten Fotografie. Die Nacht hatte die Farbe aus dem Leben genommen. Woher kam die Stimme, wem gehörte sie?
          »Du bist nicht verdorben, du suchst nur einen Weg.«
          Die Worte waren zu laut, um aus meinem Kopf zu stammen, sie vibrierten wie das Flimmern einer Fata Morgana durch das Zimmer, wie die Spiegelung einer Straße im Sonnenlicht. Es war dunkel. Ich krallte meine Hände ins Laken und starrte auf die Stelle, an der die Stimme wie eine gläserne Platte in der Atmosphäre schwebte.
          »Deine Fantasien weisen dir den Weg, sie sind die Früchte deiner Wünsche, die Kinder deiner Lust.«
          »Das ist doch bescheuert«, rief ich, musste einen Kloß aus dem Hals husten. Unverwandt blickte ich zu der Stelle, von der die Worte kamen, richtete mich auf, um nicht schwach und ängstlich zu erscheinen. »Mein Wunsch war die Kunst. Mein Wunsch war es, mit Darius zu

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