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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Tischtuch bedeckt. Darauf ein Buffet. Frische Brötchen, Karaffen mit Saft, Schalen mit Haferflocken und Cornflakes, eine riesige Aufschnittplatte, ein Krug mit Milch, Konfitüren, Honig, gebratene Würstchen, Rührei, Speck, Kaffee, Tee. Auf dem Tisch in der Mitte des Raums stehen Geschirr, eine Vase mit Schneeglöckchen und eine brennende Kerze.
          Niemand ist zu sehen. Wie in den Häusern meiner Wanderung. Alles steht bereit wie durch einen Zauber. Die Kerze und die Teelichter unter den warmen Speisen flackern im Windzug der geöffneten Tür. Ich fasse Darius am Arm, betrete mit ihm das Haus und schließe die Tür. Kurz lausche ich. Was ist, wenn sich das Schloss versperrt, wenn jemand den Schlüssel von außen dreht, um uns hier gefangen zu halten? Kein verdächtiges Geräusch.
          Trotz der Wärme setzen wir uns zögernd in unseren Jacken an den Tisch. Trotz der noch kalten Hände schenken wir uns keinen Kaffee ein. Wir sitzen einander gegenüber und schweigen, lauschen in die Stille, auf das Brodeln der Flüssigkeiten über den Stövchen, das leichte Zischen, wenn Fett aus den gebratenen Würstchen auf die Platte tropft, das Ächzen des Gebälks zwischen Wärme und Frost. Wir warten, die Worte zwischen uns erstickt, darauf, dass sich der Wolpertinger zu uns setzt oder überhaupt etwas geschieht.
          »Es wird niemand kommen.« Darius sieht mich an, er ist blass, seine Augen gespannt geöffnet, seine Schultern gerade.
          »Dann lass uns wieder fahren.«
          Er schüttelt den Kopf. »Wir müssen hier bleiben.«
          »Was passiert, wenn du dich widersetzt?«
          Darius streckt seinen Arm zu mir, das Besteck verrutscht, eine Falte zieht sich in das weiße Tischtuch. »Ich widersetze mich nicht. Ich möchte etwas vom Aloisiushaus.«
          »Wovor fürchtest du dich dann?«
          Er nimmt unsere Tassen, geht, als wäre er gelassen, zum Buffet und bedient sich am Kaffee. 
          Ich atme tief durch, warte, bis er zurückkommt, atme ein weiteres Mal, löse meine übereinandergeschlagenen Beine, stelle die Füße fest nebeneinander auf den Boden, atme ein drittes Mal, warte auf eine Antwort. 
          »Ich weiß nicht, was passieren wird, wenn es meinen Wunsch erfüllt.
          »Was erwartest du?«
          Er gibt ein bisschen Zucker in eine der Tassen, gießt etwas Milch hinein, ohne zu fragen. Er kennt meine Gewohnheiten. »Ich möchte alt werden und irgendwann sterben dürfen. Ganz in Ruhe und Freiheit.«
          »Mich hat es freigegeben«, sage ich, während er die Tassen auf ein kleines Tablett stellt. »Ohne Drohung, nachdem ich mich entschieden hatte. Warum kannst du dich nicht neu entscheiden?« Einen Moment lang horche ich. Donnert es? Rumpelt es über uns? Bricht das Haus zusammen?
          Darius stellt das Tablett mit den Tassen vor uns, setzt sich wieder, immer noch gerade, angespannt. »Es kann uns trennen«, antwortet er, trinkt einen Schluck, setzt die Tasse ab und sieht mich wieder an. »Ich finde, das ist schlimm genug.«
          So viel Angst? War es nicht ich, der ihm misstraute, er könnte mich wieder verlassen? Und fühlte nicht ich mich in dieser Angst schon lächerlich, auch wenn ich sie nicht los wurde?
          Langsam wird mir warm, langsam löst sich meine Spannung. In diesem Haus haben wir frei unser Glück genossen, nackt miteinander gespielt und geschlafen, ohne uns dabei beobachtet zu fühlen. Jedenfalls habe ich mich nicht beobachtet gefühlt. In diesem Haus haben wir unser Vertrauen ineinander vertieft, bis Darius es verraten hat. Ich kann es nicht als bedrohlich erleben, so sehr mich die Zaubershow beeindruckt, so sehr mein Freund auch zittert. Wenn wir bleiben, wenn Darius partout nicht gehen will, muss ich meine Jacke ausziehen, mich an dem reichhaltigen Buffet bedienen und etwas essen. Wenn uns das Haus einlädt, will ich mich wie zu Hause fühlen.
          »Darius«, sage ich, während ich aufstehe und mir ein Brötchen, Butter und etwas von dem Rührei auf einen Teller nehme. »Im Moment sind wir zusammen. Das Leben wird uns trennen – irgendwann. Aber bis dahin sind wir zusammen. Und es ist unsere Entscheidung, ob es so bleibt.«
          Er folgt mir, bedient sich ebenfalls. »Du kannst meine Angst nicht verstehen, oder?«
          »Nein. Vielleicht fehlt mir der Begriff von Ewigkeit.«
          Wir setzen uns wieder, essen jeder einen Bissen. Das Ei schmeckt großartig, die

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