Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
die sich um den gesamten Raum spannte, und starrten uns an.
„Sie hat das Heidelbeerbier gedreht“, sagte Vorak, deutete mit dem Daumen auf mich und zuckte die Achseln. Brausender Applaus wallte auf und ich machte einen Schritt rückwärts, bis ich mit dem Rücken gegen die Tür stieß. „Nun komm schon“, sagte er, „bring es hinter dich. Wir haben noch wichtige Dinge zu besprechen.“ Er sah mich an, fast mitleidig, und schnaufte. „Falls du dann noch in der Lage bist zu sprechen.“
Ein etwa zwölfjähriger Junge in Shorts und Turnschuhen rollte ein Holzfass in die Mitte des Raums, hievte es auf einen Tisch und schlug es an. Beerenduft überdeckte die schalen Gerüche und benebelte meine Sinne. Vorak zog mich mit sich, drückte mich auf einen wackligen Stuhl. Ich sah zu, wie der Junge eine Holzschüssel mit der schäumenden Flüssigkeit voll zapfte. Vorak zupfte mich am Ärmel und ich beugte mich zu ihm hinunter.
„Das ist kein Spiel“, sagte er. „Trink, als hänge dein Leben davon ab, denn genau das tut es.“
Ich lachte auf, verstummte aber, als ich in seine Augen blickte. „Was soll dieser Quatsch überhaupt? Das ist doch ein dummer Witz. Das kann nur ein Witz sein!“ Ich schüttelte die kleine Gestalt mit beiden Händen, dann ließ ich ihn los und schüttelte den Kopf. Der Schlag auf den Kopf!, dachte ich. Ich bin gestürzt und nicht wieder aufgewacht. Rokan sitzt neben mir und kühlt meine Stirn. Mir kann nichts passieren, denn das alles spielt sich nur in meiner Fantasie ab. In meinem Unterbewusstsein.
Im Raum war es wieder totenstill, alle Blicke klebten gebannt an mir. „Also, dann mal her mit dem Gläschen“, sagte ich und erntete Applaus. „Aber mach es auch schön voll, ich bin schrecklich durstig“, fügte ich hinzu, als sich der Jubel legte.
Der Junge reichte mir die Schüssel und ich beugte mich darüber, tauchte meine Nase tief in den kribbelnden, violett schimmernden Schaum, bis ich das Bier an meinen Lippen spürte. Es schmeckte herb und süß und ein wenig minzig. Gar nicht übel. Ich nahm einen tiefen Zug. Als ich absetzten wollte, schüttelte Vorak den Kopf und ich schluckte und schluckte. Und schluckte. Alles was danach passierte liegt unter einer schaumigen Decke.
Klatschen, Lachen, Musik, Tanzen. Grobgliedrige Hände, die mich im Kreis herum wirbeln. Zwischen allem eine Stimme, die in meinem Kopf spricht. „Wähle die richtige Tür.“ Welche Tür, wovon sprichst du? „Wähle, aber wähle mit Verstand.“ Verstand? Ich kann kaum entscheiden an welchen Platz ich meine Füße setze. Hinter den rotglänzenden Gesichtern: Farben. Farbige Schlieren, verwischte Regenbögen. Türen. Lila, blau, grün, gelb, orange, rot. „Wähle.“ Meine Zunge klebt am Gaumen. Musik, Gesang, rhythmisches Klatschen. Lila-blau-grün-gelb-orange-rot. Lachen, Stimmen, Musik, Tanzen. Regenbögen. Farbkleckse. Meine Lider flattern. „Wähle!“ Lilablaugrüngelborangerot. „Wähle!“ Tanzen. Lachen. Klatschen. Stille.
Sie krallte ihre Nägel in Etiennes Handrücken. Irina drängte sich gegen ihr Becken und Lizzie atmete gegen den Schmerz an.
„Das ist gut, Kind“, sagte Marie. Sie wusch ihre Hände und trocknete sie ab, warf das Handtuch auf die Eckbank. Dann kniete sie sich zwischen Lizzies Beine und schob ihren Rock nach oben.
Die nächste Wehe raste durch Lizzies Rückenmark und sie biss auf ihre Unterlippe, schmeckte das Blut und den Schweiß, der ihr Gesicht hinab rann.
„Sie ist so weit.“ Marie nickte Etienne zu. „Halt sie fest.“
Er trat hinter den Stuhl, umfasste Lizzies Oberkörper. Sie bäumte sich auf und das Holz des Stuhls knirschte. Lizzie zog die Beine an und stöhnte.
„Jetzt“, sagte die Alte. „Pressen!“
„Ich kann nicht.“ Tränen mischten sich mit dem Schweiß auf Lizzies Gesicht. „Ich kann nicht mehr.“ Dann fiel ihr Kopf gegen Etiennes Bauch.
Marie stand ächzend auf und schlug ihr die flache Hand ins Gesicht. „Du kannst schlafen, wenn sie da ist, hörst du? Und jetzt pressen!“
Lizzie biss die Zähne zusammen, packte Etiennes Arme und mit der nächsten Wehe presste sie ihre Tochter heraus.
Sie atmete schwer. „Ist alles in Ordnung? Gib sie mir.“ Etiennes Arme hielten sie fest, sie konnte Irina nicht sehen. „Gib mir meine Tochter!“, keuchte sie. Dann sah sie das Messer in Maries Hand aufblitzen. „Tu doch was, Etienne. Lass mich los!“
„Das erste Kind geboren, geboren“, summte die Alte zu ihren Füßen. „Hoffnung wird dein
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