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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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und Maries Haus vorbei, in den Wald hinein. Ich hatte meine Füße nicht erkennen können und es fühlte sich an, als berührten sie kaum den Boden. Alles war weiß und weich und neblig.
    Rokans Hütte lag hinter einigen Kiefern und war von Dorf aus nicht zu sehen gewesen. Sie bestand aus einem einzigen großen Raum. Ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle, ein Kamin. Ein Regal, aus dem mich unzählige Augen anfunkelten.
    Rokan stocherte in der Glut, nachdem er mich warm eingepackt hatte, legte einige Holzscheite nach. Er pfiff tonlos vor sich hin. Sein schwarzes Haar schimmerte wie flüssiges Pech im Feuerschein.
    Ich konnte meine Blicke nicht von dem Regal lösen. Diese Augen. Kalt und leer und doch schienen sie mich zu fixieren. Mehrere Marder, Hasen, ein Steinadler. Katzen.
    Ich stellte mein Glas auf den Tisch und ging zu dem Regal. Streckte meinen Arm aus und strich einer der Katzen über die Stirn. Ihr Fell war grau, durchsetzt mit verwaschenen cremegelben Streifen, weich und warm. Sie saß auf den Hinterläufen, den breiten Kopf stolz erhoben. Ein buschiger Schwanz lag um ihren Körper und die kräftigen Füße drapiert. Das war die größte Katze, die ich jemals gesehen hatte.
    „ Felis silvestris silvestris .“
    Die Katze schien zu blinzeln. Gänsehaut kroch meinen Nacken hinauf. Ich beobachtete die goldglitzernden Augen des Tiers, doch nichts regte sich in dem haarigen Gesicht. Nur die kräftigen, weißen Tasthaare zitterten in einem kaum spürbaren Windzugzug.
    „Ein Prachtexemplar“, fügte Rokan stolz hinzu.
    Ich rieb über meine Arme. „Ich habe noch nie eine solche Katze gesehen.“
    „Nun, ich sehe zu viele davon.“ Rokan zog einen Kasten unter dem Bett hervor und begann den Inhalt auf der Matratze auszubreiten. „Und lass ihn nicht hören, dass du ihn für eine Katze hältst. Das ist ein Kuder.“ Er blickte auf und zwinkerte mir zu. „Ein Kater.“
    Ich mochte die Tierkörper nicht. Der Kontrast der starren Körper zu den funkelnden Augen machte mir Angst. „Tötest du sie, um sie dann auszustopfen?“
    Rokan legte eine Rolle Draht neben ein Wollknäuel und stand auf. Er pustete über den Kopf des Adlers. Die Flügel des Vogels waren ausgebreitet, als könnte er sich jeden Moment von einer Klippe fallen lassen. Gleiten, zustoßen. Seine Krallen um einen zappelnden kleinen Körper schließen.
    „Ich stopfe sie nicht aus.“
    Ich löste meine Blicke von dem Adler, sah in Rokans eisige Augen. Augen, die den Himmel kannten.
    „Ich erhalte sie. Lebendig und makellos.“
    „Aber dazu musst du sie töten“, flüsterte ich.
    Er schüttelte den Kopf, wie um zu sich zu kommen. „Was bedeutet schon der Tod und was das Leben?“ Seine Augen verdunkelten sich und schimmerten im dunstigen Blau eines Herbsthimmels nach einer langen Regennacht. „Kennst du den Unterschied, Catrin?“
    Ich deutete auf die Flöte, die an dem Regal lehnte. „Spiel mir etwas vor, Rokan.“
    Er strich mit seinen plumpen Fingern über den abgegriffenen Holzkorpus, liebkoste ihn, bevor er das Mundstück an die Lippen setzte.
    Ich ließ mich auf den Stuhl fallen. Mein Mund war trocken. Was bedeutete Leben? Ich trank mein Glas leer und Rokans Spiel trug mich in eine andere Gegend. Kühle und warme Luftschichten wechselten, wehten mir die Haare ins Gesicht, füllten meine Lungen mit Sauerstoff. Und als er endete, hatte ich das Gefühl das Leben gespürt zu haben. Flüchtig nur, wie ein Pinselstrich.
    „Erzähl mir von Agnès“, sagte ich.
    Er stellte die Flöte zurück an ihren Platz und setzte sich mir gegenüber, schenkte unsere Gläser voll.
    „Wenn du etwas über Agnès wissen willst, solltest du mit Marie reden. Sie ist ihre Mutter.“
    „Ich dachte Agnès wäre erst als Jugendliche ins Dorf gekommen. Chloé hat mir davon erzählt.“ Ich nippte an meinem Rotwein, der Alkohol stieg mir bereits zu Kopf, meine Glieder waren schwer, meine Gedanken träge. „Und was ist mit dir?“, hakte ich nach. „Du hast sie doch auch gekannt. Standest du ihr nahe?“
    Rokan rutschte von seinem Stuhl und legte ein Stück Holz nach. Er verschränkte die Arme, sah dem Feuer zu. Sein Schatten berührte meine Füße, unwillkürlich zog ich sie zurück. Es war düster im Zimmer geworden. Der Feuerschein zeichnete Scherenschnitte an die Wände. Die Tiere erschienen noch lebendiger, bewegten sich mit den Flammen. Ich sah aus dem Fenster. Die Fichten schüttelten sich im Wind, Schnee rieselte von ihren Ästen. Die Ausschnitte des Himmels, die

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