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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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Lippen glitten an ihrem Hals hinab. Sie legte die Hände auf seine Schultern, spürte die Muskeln unter dem groben Stoff seines Hemdes. Atmete den Duft seiner Haare ein. Sie drängte sich an ihn; schloss die Augen und wünschte sich, er würde ihre Kehle hinab greifen und den Stein aus ihrer Brust reißen.
    Etienne löste sich aus der Umarmung, nahm eine Decke von der Eckbank und drückte sie Lizzie in die Hand.
    „Dann bleib“, sagte er. „Gute Nacht.“
    Sie sah ihm nach, wie er im Nebenzimmer verschwand. Das Klacken der Tür hallte in ihren Ohren, wie ein Pistolenschuss.
    Plötzlich kam es ihr unerträglich stickig in dem Raum vor. Sie öffnete das Fenster und sog die kalte Luft in ihre Lungen. Dann setzte sie sich in den Schaukelstuhl, breitete die Decke über ihren Beinen aus und schenkte sich einen Weinbrand nach. Ließ ihre Blicke durch das spartanisch eingerichtete Zimmer schweifen. Der Kamin, ein Tisch mit Eckbank, eine Kommode. Kleine Bilder in offenbar selbst gemachten Holzrahmen. Sie sprang aus dem Schaukelstuhl, verhedderte sich in der Decke und stolperte zu dem Schränkchen. Ihren Blick starr auf die Bilder gerichtet. „Heilige Scheiße!“ Sie rieb sich über die Augen. „Das kann doch nicht …“
    Schritte vor dem Fenster. Husten.
    Lizzie starrte in die Dunkelheit. „Wer ist da?“, flüsterte sie und bekam nur ein Lachen zur Antwort. „Etienne, bist du das?“ Sie beugte sich über das Fensterbrett. Der Wind strich durch ihr Haar, wie klamme Finger.
    Ein Flattern und wieder das Lachen.
    Mit zitternden Händen schloss Lizzie das Fenster, schlang sich die Decke um den Körper. Sie nahm eins der Portraits von der Kommode. Eine Träne lief ihre Wange hinab, hielt sich einen Augenblick an ihrem Kinn und fiel auf ihre Brust. Sie atmete tief durch und strich über das Gesicht des Mädchens auf dem Bild. Über ihr Gesicht. Das Kleid, das Abschlusszeugnis in ihren Händen. Wischte sich eine weitere Träne aus dem Augenwinkel.
    Was war schiefgelaufen? Und wann? Schlampe! Wie kreischende Bremsen eines Güterzuges. Sonnenschein, eine Flasche Jack Daniels, hinter der Turnhalle. Die beiden Jungen. Steffen und Dennis. Oder Daniel? Sie konnte sich nicht erinnern. Aber eins würde sie nie vergessen. Den Blick ihres Vaters. Er hatte sie danach nie wieder angesehen. Er sah an ihr vorbei, als wäre sie Luft. Ein Vakuum, das Platz in seinem Haus einnahm, aber keinen Platz mehr in seinem Herzen hatte.
    Sie stellte das Bild zurück, die Decke rutschte von ihren Schultern. Hinter der Tür zum Nebenzimmer hustete Etienne. Sie konnte nicht allein sein. Nicht in dieser Nacht. Sie legte die Hand auf die Klinke und öffnete die Tür.
    Auf dem Nachttisch flackerte eine Kerze. Der Cavalier lag auf einem schlichten Holzbett, nur mit seiner Hose bekleidet, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig.
    „Ach, Prinzesse“, murmelte er. „Nun komm schon her. Nimm dir was du brauchst.“
    Mit einem Ruck zerrte sie die Hose über seine Hüften. Warf ihr Kleid auf den Boden. Kroch über seinen warmen Körper. Presste sich eng an ihn, den Kopf auf seiner Brust.
    Etiennes Hand glitt an ihrem Rücken hinab, suchte sich den Weg zwischen ihre Beine. Sie packte sein Handgelenk.
    „Nicht“, flüsterte sie.
    Er hob den Kopf, sah ihr in die Augen. Dann breitete er eine Decke über ihre Körper aus. Sein Atem streifte ihr Gesicht. Sein Arm, schwer über ihrem Brustkorb. Sie legte ihr Bein über seine Hüfte.
    „Schlaf jetzt, Prinzesse“, flüsterte er. „Schlaf und vergiss.“

    „ N a meine Süße, willst du heute gar nicht aufstehen?“
    Eine kühle Hand legte sich auf meine Stirn. Dahinter pochte es. Mein Kopf steckte inmitten einer gewaltigen Glocke, auf die jemand einhämmerte. Alles dröhnte, ich konnte kaum denken. Meine Zunge klebte am Gaumen. Ich öffnete meine schweren Lider. Chloé lächelte . „Es ist schon bald Mittag“, sagte sie, „aber du solltest vielleicht doch noch etwas liegen bleiben, deine Stirn fühlt sich heiß an.“
    „Was …“ Ich räusperte mich. „Ich bin gefallen.“ Blau schimmerndes Licht fiel durchs Fenster auf den Stuhl, über mein Kleid, das darauf lag, auf die dicke Bettdecke. Ich stemmte mich hoch, ließ mich aber sofort zurück in die Kissen sinken. Der Raum drehte sich, Chloés Gesicht verschwamm, ihre Gesichtszüge zerflossen zu einer breiigen Masse. Ich versuchte den Speichel hinunter zu schlucken, der sich in meinem Mund gesammelt hatte und

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