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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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hustete.
    Chloé hielt mir einen Becher an die Lippen und ich trank das kühle Wasser in kleinen, hastigen Schlucken. Ich versuchte mich zu erinnern, wie ich in mein Bett gelangt war, aber da war nur eine dicke Schwärze, die von flackernden Lichtblitzen durchbrochen wurde. Sterne? Alles rotierte, ich wusste nicht, wo oben und unten war. Ich presste meine Hände an die Schläfen, um die Bewegungen zu stoppen. Mein Magen rebellierte, ich atmete flach und keuchend.
    Chloé legte mir ein feuchtes Tuch auf die Stirn. Ihre Gesichtszüge verfestigten sich, schienen angespannt. „Bleib liegen“, sagte sie, „ich bringe dir etwas zu Essen ans Bett.“ Sie sah mir noch einen Moment lang ins Gesicht und drückte meine heiße Hand, bevor sie nach unten ging.
    Ich schloss die Augen.
    Wie war ich in mein Bett gelangt? Großmutter! War sie erfroren? Ich musste wissen, was mit ihr passiert war. Vorsichtig setzte ich mich auf und langsam klärten sich meine Gedanken. Das Dröhnen in meinem Kopf wurde zu einem Summen und die Umgebung drehte sich nur noch gemächlich. Ich zog mich an und ging nach unten. Die Treppenstufen schwankten etwas, ich klammerte mich am Geländer fest.
    „Süße, du solltest doch liegen bleiben!“ Chloé nahm meinen Arm und ich ließ mich zu einem Stuhl führen.
    „Ich muss zu Agnès“, sagte ich.
    Chloé atmete tief durch, sagte aber nichts. Sie reichte mir einen Becher Tee. „Trink das erst mal.“
    Das Gebräu war höllisch heiß und schmeckte bitter. Ich verzog das Gesicht. Chloé verschränkte die Arme vor der Brust und nickte mir zu. „Los, runter damit.“
    Ich biss die Zähne zusammen und trank den Becher leer. Und tatsächlich, schon einen Moment später hörte die Welt um mich herum auf sich zu bewegen.
    „Und jetzt iss erst mal was.“ Chloé ignorierte meinen Protest und schöpfte mir eine Kelle Suppe in die Schale. Widerwillig aß ich einen Löffel davon. Ich war froh, dass Chloé mir nur schweigend zusah, denn meine Gedanken kreisten wie Raubvögel in meinem Kopf. Zu viele Fragen hatten sich angesammelt und ich brauchte Antworten. Und ich musste mit Lizzie reden, unbedingt. Ich konnte unser letztes Gespräch nicht einfach auf sich beruhen lassen. Ich musste wissen, was sie in dem Gemälde erkannt hatte. Und ich wollte meine Schwester zurück haben.
    „Hast du Lizzie heute schon gesehen?“, fragte ich, nachdem ich mir den Mund abgewischt hatte. „Ich muss dringend mit ihr reden.“
    „Sie hat nicht im Gasthaus übernachtet.“ Chloé schenkte meinen Becher ein zweites Mal voll und drückte ihn in meine Hand.
    Ich nippte an dem Gebräu. Das Getränk schmeckte gar nicht mehr so übel, auch wenn es roch, als hätte Chloé es direkt aus einer Schlammpfütze geschöpft.
    „Wo wohnt der Cavalier?“
    „Du solltest nicht zu ihm gehen, Süße. Catrin. Etienne ist kein schlechter Mensch, aber er ist“, sie sah aus dem Fenster und seufzte, „schwierig, trifft es wohl.“
    Ich lachte. Schwierig war wohl nicht ganz das richtige Wort. „Mach dir keine Sorgen“, sagte ich und drückte Chloés Hand. „Aber ich muss unbedingt mit Lizzie reden.“
    Chloé sah aus dem Fenster. „Hinter dem Stall. Das kleine Haus, mit den weißen Läden. Aber sei vorsichtig. Bitte.“
    Ich drückte der Wirtin einen Kuss auf die Wange und stand auf. „Ich werde auf mich aufpassen.“ An der Tür drehte ich mich noch einmal um. „Chloé?“ Sie stellte die Suppenschüssel auf der Theke ab und sah mich an. „Danke“, rief ich ihr zu. „Für alles.“
    „Tu, was du tun musst“, sagte sie und wischte sich über die Augen. „Und jetzt geh schon, meine Arbeit macht sich nicht von alleine.“
    Ich stieß die schwere Eingangstür auf und stockte. Agnès‘ Haus lag im Schatten der Birken und war in eine dicke Schneeschicht gehüllt. Auch der Dorfplatz war unter dem Weiß verschwunden, nur der Brunnen ragte hervor, wie eine Boje inmitten eines eisigen Meeres. Keine Fußspuren durchbrachen die Schicht. Und über Allem hing eine Stille, wie ich sie nur selten wahrgenommen hatte. Fast wie an einem Weihnachtsmorgen.
    Ob Agnès sich auch so schlecht gefühlt hatte, als sie aufgewacht war? Ich stand unschlüssig auf der Treppe, die Arme wärmend um meinen Oberkörper geschlungen. Am Himmel zogen sich Wolken zusammen. Dichte, überfüllte Schneewolken. Ein leichter, klarer Wind trieb sie über dem Dorfplatz zusammen und sie vereinten sich zu einem weißen Plateau. Mit dem Wind kam auch ein Geruch nach etwas das mir

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