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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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Gondeln. Kirmesmusik wehte zu mir herüber und ich konnte Kinderlachen hören. Dann zogen sich die Umrisse zusammen, bildeten einen Ball und das Bild zerplatzte wie bei eine r Explosion. Instinktiv schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete , starrten mich weit aufgerissene schwarze Augen aus einem ebenso schwarzen Gesicht an. Die Federn des Raben schimmerten bläulich.
    „Was siehst du?“, fragte Rokan.
    „Das ist wunderschön.“ Mir fehlten die Worte, um tatsächlich zu beschreiben , was ich sah. „Wir sollten gehen“, fügte ich hinzu und deutete auf die Treppenstufen, die sich direkt vor unseren Füßen im Wasser spiegelten. Mein Puls raste und ich griff nach Rokans Hand.
    „Einen Augenblick“, sagte er und kramte eine Plastiktüte aus seinem Rucksack. „Ich will nur die empfindlichen Dinge sicher verpacken. Gib mir das Tagebuch.“ Ich zog das kleine Buch aus meiner Tasche. Er verstaute es zusammen mit der Taschenlampe in der Tüte, verschnürte sie fest mit einem Bindfaden und steckte das Bündel in den Rucksack, den er wieder schulterte. Er zog die Trageriemen fest und nickte mir zu.
    Gemeinsam betraten wir die Treppe. Das Wasser war warm, fast heiß und gab nur widerwillig nach. Ich nahm einen tiefen Atemzug und hielt die Luft an, bevor ich untertauchte. Wir wurden von einem Strudel hinab gezogen . Ich nahm verschwommene Bilder wahr. Häuser, Straßen. Menschen sahen mir direkt in die Augen, hasteten an uns vorbei; in den Händen Aktentaschen oder Schirme . Einer trug einen Ghettoblaster auf der Schulter.
    Als ich befürchtete , meine Lunge würde platzen, spürte ich Stoff an meinem Gesicht . Ein schwerer olivgrüner Vorhang. Ich schob ihn zur Seite und wir betraten einen quadratischen Raum.
    Ich schnappte nach Luft und hustete. Dann sah ich mich um. Die Wände waren bis zur Decke mit hohen Regalen bedeckt, in denen sich merkwürdige Dinge stapelten. Rokan nahm einen zwanzig Zentimeter großen Krieger aus dem Regal direkt neben uns. Er hielt ein rotes Schwert in der Hand und trug einen Helm und eine Maske, die genauso tiefschwarz waren, wie sein wehender Umhang und der Rest seiner Kleidung. Rokan schüttelte den Kämpfer und drückte auf die Tasten auf dessen Bauch.
    „Ich bin dein Vater“, sagte der Krieger mit metallener Stimme und Rokan ließ ihn auf den Fliesenboden fallen.
    Ich h ob die Figur auf. „Das ist ein Kinders pielzeug“, sagte ich ungläubig. Überall in dem quadratischen Raum stapelte sich Spielzeug in den Regalen. Actionfiguren, Clowns und Puppen. Teddybären und Gesellschaftsspiele. „Wir sind in einem Spielwarengeschäft.“ Ich lachte.
    Rokan nahm eine Schachtel in die Hand, die mit einem Plopp aufsprang und eine gelbe Schlange in Rokans Gesicht schleuderte. Er machte einen Satz nach hinten und stieß an einen Tisch, der mit Bilderbüchern beladen war.
    „Das ist Zauberei!“
    „Nein, Rokan, das ist nur Kinderspielzeug. Siehst du?“ Ich nahm die Schachtel vom Boden, stopfte die Schlange zurück und schloss den Deckel.
    „Hey Junge, pass doch auf!“ Eine korpulente Frau kam auf uns zu. Sie trug eine weiße Bluse mit einem Namensschild über ihrer rechten Brust. Sie wandte sich an mich. „Wenn Ihr Sohn etwas kaputt macht, müssen sie das aber bezahlen.“ Dann sah sie zu Rokan und lief dunkelrot an. „Oh … ähm … Entschuldigen Sie. Ich konnte ja nicht wissen …“, stammelte sie.
    Ich las auf ihrem Namensschild. „Gertraud“, sagte ich. „Wir w ürden uns gerne etwas umsehen, a llein, wenn das möglich wäre.“
    „Natürlich. Klar. Gar kein Problem.“ Sie drehte sich um und verschwand hinter der Theke, steckte ihre Nase in einen Katalog.
    Ich bemerkte die Pfützen, die sich zu unseren Füßen gebildet hatten. Gut, dass Gertraud von Rokans Anblick abgelenkt gewesen war.
    „Wir sollten hier verschwinden“, sagte ich. „Und wir sollten herausfinden , wo wir überhaupt gelandet sind.“
    „Und wann“, erwiderte Rokan und legte ein Buch über Dinosaurier zurück auf den Stapel.
    Wir wandten uns zum Ausgang, als ich ein leises Psst hörte. Ich sah zu Gertraud hinüber, aber die las immer noch in ihrem Prospekt und ignorierte unsere Anwesenheit. Ich schüttelte den Kopf. Ich hörte schon Gespenster. Und dann war es wieder da, etwas lauter. „Psst!“ Ich suchte die Regalreihen mit meinen Blicken ab und stutzte . Hatte mir die se Schildkrö te, mit dem bunt gefleckten Panzer gerade zugenickt? Unmöglich! Und doch, jetzt blinzelte sie und ich sah, wie

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