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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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Die Treckwagen wirkten beunruhigend. Schon vor Wochen waren die ersten Kolonnen vorbeigezogen, aber damals waren sie noch in großen Abständen herangerollt. Man hatte sie bestaunt, denn in der Aufmachung glichen sie eher Zigeunertrupps. Aber mit der Zeit war die Angst gewachsen. Tag und Nacht rumpelten die Räder rechts und links an dem großen Alumnatsgebäude vorbei über den Marktplatz. Das monotone Anrufen der Pferde, das Knarren der Räder, das Heulen fremder Hunde scheuchte die Bürger nachts in den Betten hoch. Jeden Tag schien sich die Hoffnung zu verringern, dass die Flucht nur anderen bestimmt sei.
    Gerüchte wanderten von Tür zu Tür. Man erzählte, man übertrieb, man schürte die Angst. In den Hinterhöfen, in den Kellern, vor den Nachbarn verborgen, wurden Handwagen und Fahrräder bepackt, denn es war verboten, sich ohne Befehl davonzumachen.
    Frau Nagold starrte durch die Fenster ihrer Wohnung im obersten Stock des Alumnatsgebäudes. Bis jetzt hatte sie versucht, ihre Fluchtgedanken zu bezähmen. Sie hatte ihre Pflicht als Lehrersfrau im Alumnat erfüllt, sie hatte die Jungen versorgt, sie war in der Küche eingesprungen, als die Köchin eines Morgens mit Sack und Pack verschwunden war. Sie hatte sich bemüht, den optimistischen Reden des Direktors Jähde Glauben zu schenken, dass Adolf Hitler im richtigen Moment die richtige Waffe einsetzen würde. Aber wo blieb diese, wenn die Treckwagen schon jetzt aus einem Ort kamen, der kaum hundert Kilometer entfernt war?
    Frau Nagold schloss die Augen. Ganz langsam nahm das Grauen auch von ihr Besitz. Sie wehrte sich nicht, im Gegenteil, sie schien wie erlöst, sich endlich dieser Angst hingeben zu können und nach ihr zu handeln.
    Hastig wandte sie sich vom Fenster ab und begann wahllos zu packen. Sie riss Schränke und Schubladen auf. Sie verstreute Wäsche, Bücher, Konserven, Schuhe auf Tisch und Erdboden. Sie füllte Koffer, Taschen und Säcke so lange, bis ihr klar wurde, dass sie nicht mehr als einen Koffer davontragen könnte.
    Seit dem letzten Fliegerangriff klemmte die Eichentür des Alumnats, und die Frau, die eilig den Platz überquert hatte, brauchte beide Hände, um sie aufzustoßen. Die Ruhe im hohen Treppenhaus war ungewohnt. Unsicher hob sie eine Haarnadel auf, die ihr beim Eintreten aus dem Knoten gefallen war. Sie sah sich um und fand sich einer lebensgroßen Büste Adolf Hitlers gegenüber. Die Frau wandte beschämt den Blick. Im gleichen Augenblick erfüllten die Stimmen der Chorschüler das ganze Treppenhaus. Lehrer Nagold hatte in der Aula mit den Proben begonnen.
    Die Alumnatsschüler waren an strengen Gehorsam gewöhnt. So sangen sie auch weiter, als die Tür aufgerissen wurde und die Mutter des jüngsten Chorschülers zwischen ihre Reihen trat. Noch ehe Lehrer Nagold das Schlusszeichen geben konnte, presste die Frau beide Hände an die Ohren und schrie: »Aufhören!« Dann langte sie nach einem schmächtigen Zehnjährigen und zerrte ihn hervor. »Los, komm«, herrschte sie ihn an. Der Junge wehrte sich. Er stemmte die Beine gegen den Boden, sein Gesicht rötete sich vor Anstrengung und Scham.
    »Ich will nicht«, rief er böse und so laut, dass es alle hörten. Aber die Mutter zog ihn fort und er las den Spott und die Verachtung in den Augen seiner Kameraden.
    »Sie können nicht einfach in den Unterricht hereinplatzen«, sagte Nagold freundlich. »Wollen Sie nicht warten? Die Probe dauert heute nicht lange.«
    »Warten?«, schrie die Frau höhnisch, »bis die Russen kommen, ja?« Ihr Blick glitt über den großen, blonden Mann bis hinunter zu den Beinen, die merkwürdig ungelenk nebeneinander standen.
    »Das da«, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf Nagolds Beinprothese, »genügt Ihnen wohl noch nicht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Nagold härter, »ob es jetzt der richtige Augenblick ist, über eine Amputation zu sprechen.«
    Die Frau zog das Bürschlein an sich. »Mein Manfred kommt mir nicht nach Sibirien!«, schrie sie.
    Der Junge spürte, wie töricht die Worte der Mutter wirkten. Er war immer der Schmächtigste in der Klasse gewesen, und in Gedanken hörte er das schallende Gelächter der Jungen, so wie er vorhin den Spott in ihren Augen gesehen hatte.
    »Ich will nicht«, rief er wiederum. Seine Stimme klang schrill. Er stampfte mit dem Fuß.
    Nagold öffnete wortlos die Tür. Es lag ihm nichts daran, seine Schüler noch länger der Hysterie einer Mutter auszusetzen.
    Frau Steiner riss Manfred zum Ausgang. Er stolperte

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