Cotton Reloaded - Folge 1 - Der Beginn
ist ja ganz niedlich, Decker, aber ich kann mir nicht helfen, ich würde irgendwie mehr drauf anspringen, wenn Sie mir nicht vor ein paar Stunden damit gedroht hätten, mich zum Krüppel zu spritzen.«
Sie zog belustigt die Augenbrauen hoch und wollte mit Sicherheit irgendetwas Amüsiertes oder Spöttisches erwidern, aber Cotton ließ sie nicht zu Wort kommen. »Der Besitzer des Computerladens hieß Kyle, und er war mein Freund. Er musste sterben, weil ich ihn gebeten hatte, das Handy aus Maggies Wohnung zu untersuchen.«
Decker wurde plötzlich ernst. »Dachte ich mir. Was haben Sie sonst noch?«
Cotton hob die Schultern. »Nichts.«
»Nichts? Sie wollten mir einen Deal anbieten mit nichts als diesem Handy?«
»Es gehörte Maggies Mörder.«
»Ja, so schlau sind wir inzwischen auch schon. Wo ist das Handy jetzt?«
Cotton verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.
Decker stieß einen fassungslosen Laut aus. »Mein Gott, Cotton, Sie sind ja noch dämlicher, als ich dachte. Ist das alles, oder haben Sie sonst noch was vom Tatort mitgehen lassen?«
»Nur die ID-Karte und das Handy. Den Rest kennen Sie.« Er reichte ihr einen Zettel mit der Telefonnummer und den GPS-Koordinaten. »Das hat Kyle mir noch vor seinem Tod geschickt. Die GPS-Position liegt in der Nähe des Dakota Buildings. Sie kennen die Gegend ja.«
Decker warf einen Blick auf den Zettel, trank einen Schluck Bier, und schaute Cotton wieder an. »Sie hätten das Spiel noch eine Weile weiterspielen können.«
»Wozu?«
»Vielleicht, um sich Ihren kleinen Deal mit mir nicht zu vermasseln?«
Cotton zuckte mit den Achseln.
»Und das wollten Sie mir sagen?«
»Ja. Und …« Er räusperte sich. »Und dass es mir leidtut.«
Plötzlich nickte sie. Und – oh Wunder – sie lächelte sogar. Flüchtiger als der Flügelschlag eines Kolibris, aber Cotton entging es nicht.
»Ich schätze das, Cotton«, sagte sie. »Sie sind bestimmt nicht der Hellste, aber ich schätze Ehrlichkeit.«
»Na dann …« Cotton seufzte und gab den Weg Richtung Wohnungstür frei.
»Eigentlich wollte ich noch gar nicht gehen. Oder wollen Sie mich rausschmeißen?«
Decker zwängte sich an ihm vorbei und betrat das Wohnzimmer. Cotton folgte ihr nicht. Er zählte bis drei. Bei drei hörte er ihren überraschten Laut. Jeder, der die Wand in seinem Wohnzimmer zum ersten Mal sah, stieß spätestens bei drei diesen Laut aus.
»Cotton?«
Er kam ihr nach. Philippa Decker stand vor der Längswand des Wohnzimmers, eine fensterlose, freigelegte Backsteinwand mit einem zugemauerten Kamin. Andere Leute hätten an so einer Wand vielleicht Bücherregale aufgestellt oder ein Bild aufgehängt. Oder sie einfach frei gelassen wegen des klassischen New-York-Looks, für den sie pro Woche gerne noch ein paar Hunderter drauflegten. An Cottons Wand dagegen hing quer über die gesamte Breite eine überdimensionale Pinnwand aus Schaumkarton. An der äußeren linken Seite hatte er eine Straßenkarte von Manhattan angepinnt. Daneben hing eine Galerie von Fotos. Sie zeigten meistens Frauen, junge Frauen. Aber nicht nur. Was die Personen auf den Fotos miteinander verband, war der Umstand, dass sie tot waren, erschlagen, erwürgt, erschossen, ertränkt, abgestochen. Pro Opfer ein Tatortfoto und eins aus besseren Tagen. Die Tatorte hatte Cotton ordentlich mit kleinen Fähnchen auf der Straßenkarte abgesteckt. Unter die Fotos hatte er alles angepinnt, was er an Informationen über die Fälle hatte zusammentragen können. Bei Verbindungen zwischen einzelnen Fällen benutzte er Wollfäden. Es gab ein paar.
»Was ist das?«, fragte Decker leise, ohne den Blick von der Wand zu nehmen. Sie schien jedem Mordopfer direkt in die Augen zu schauen. Sie war die Erste, die das tat.
»Unaufgeklärte Morde in meinem Abschnitt«, erklärte Cotton. »Sobald die Fälle aufgeklärt sind, nehme ich die Bilder und alles runter und verbrenne es.«
Decker hatte die Reihe abgeschritten und wandte sich ihm wieder zu.
»Warum? Und zucken Sie jetzt nicht wieder mit den Achseln wie ein Nerd, der versucht, lässig zu sein!«
Warum? Ja, das eben war die Frage, auf die Cotton selbst keine schlüssige Antwort wusste.
»Sie gehen mir ohnehin nicht aus dem Kopf«, versuchte er es. »Und ich fühle mich verantwortlich für sie. Irgendwas hat diese Frauen und Männer zum Opfer gemacht. Ein Zufall, das Crack, ein Streit zu viel, fünf Dollar zu wenig … Als Cop muss ich mich für den Täter interessieren, aber hier zu Hause
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