Cotton Reloaded - Folge 1 - Der Beginn
dem Haus, das weiträumig abgeriegelt worden war. Beißender Brandgeruch lag in der Luft.
Kyles Laden war nur noch eine rauchende offene Wunde. Rauchspuren krochen die Backsteinfassade hinauf. Feuerwehrleute löschten die letzten Brandherde und trugen irgendetwas in schwarzen Plastiksäcken hinaus zum Wagen des Gerichtsmediziners. Cotton erkannte Jake Larragh in einem der Streifenwagen. Sie hatten zusammen die Polizeischule absolviert.
»‘ne Bombe«, sagte Larragh einsilbig und kaugummikauend, als Cotton ihn ansprach. »Vor ‘ner guten Stunde.«
»Und Kyle? Ich meine, der Besitzer des Ladens.«
Larragh blickte ihn zögernd an. »Verwandter von dir?«
»Ein Freund.«
Larragh deutete auf die schwarzen Plastiksäcke. »Das ist alles, was von ihm übrig ist. Kein schöner Anblick.«
Cotton stöhnte. Irgendwo in seinem Kopf bildete sich eine Blase aus Schmerz und Erinnerungen an das Geräusch, mit dem die Welt zerriss und sie mit Staub und Dunkelheit füllte.
»Könnt ihr schon sagen, was das für ein Sprengsatz war?«, fragte er.
Kopfschütteln. »Nicht unser Job, Mann. Aber ‘ne einfache Army-Handgranate war das nicht, so viel steht fest. Da saß richtig Wumms dahinter.«
Cotton dankte Larragh - hey und ja, klar, Mann, lass uns mal wieder einen Trinken gehen – und schleppte sich in sein Apartment, in dem es kaum besser aussah als in Kyles Laden. Philippa Deckers Leute hatten ganze Arbeit geleistet. Der Inhalt sämtlicher Schränke und Schubladen lag in sortierten Haufen auf dem Boden verteilt. Selbst den Schuhkarton mit den alten Familienfotos hatten sie durchwühlt.
Aber Cotton war zu müde, um sich zu ärgern oder auch nur aufzuräumen. Eine Nachtschicht mit Brandenburg, der satte K.-o.-Schlag durch einen Unbekannten, zwei Morde, Beweismittel unterschlagen, zweimal vernommen, eine geheime FBI-Abteilung entdeckt, die einen nicht im Traum aufnehmen würde, Schuldgefühle - und nicht mehr in der Hand als eine höchstwahrscheinlich anonyme Telefonnummer und eine schwammige GPS-Position.
Es reichte für heute.
Cotton warf sich aufs Bett und versuchte, den Kopfschmerz und die Schuldgefühle durch einen klaren Gedanken zu ersetzen. Immer schön eins nach dem anderen. Was war passiert? Maggies Mörder hatte sein Handy bei Kyle geortet und keine Minute gezögert. Vermutlich hatte er Maggies Handy in der Eile versehentlich eingesteckt und es dann schleunigst entsorgt, als er seinen Fehler bemerkt hatte. Dann hatte er sein eigenes Telefon geortet, was bei vielen Mobiltelefonen mit GPS-Funktion vom PC aus möglich war. Was aber bedeutete, dass das Handy eine heiße Spur gewesen war.
Die Frage war, weshalb der Mörder gleich Kyles ganzen Laden in die Luft gejagt hatte. Und die einzige Antwort, die Cotton darauf hatte, lautete: Der Mörder konnte nicht sicher sein, was Kyle nicht bereits alles auf seinen zahllosen Computern, Festplatten, USB-Sticks und was nicht alles gespeichert hatte. Also hatte er seine Spuren auf die brachiale Tour vernichtet. Und das alles, ohne nur einen Augenblick zu zögern.
Cotton richtete sich auf dem Bett auf und dachte intensiver nach.
Was sagte das über diesen Mann? Erstens: Er ging kein Risiko ein. Zweitens: Er verfügte über Sprengstoff und konnte damit umgehen. Drittens …
Was drittens?
Drittens, drittens, drittens …
Cotton kam nicht darauf. Es hing aber mit diesem Aufblitzen zusammen, kurz bevor die Faust des Killers ihn erwischt hatte. Was konnte das gewesen sein? Eine Armbanduhr? Ein Ring?
Stöhnend stand er auf und machte sich Kaffee. Viel Kaffee. Noch mehr Kaffee. Aber sämtlicher Tanzania Roast der Welt hätte nicht ausgereicht, die lähmende Erschöpfung abzustreifen, die sich wie eine Haut aus zähem Plaque über Cottons Körper zog und jegliche Konzentration unmöglich machte. Also hastig zwei Pastrami-Sandwiches herunterschlingen und versuchen zu schlafen. Aber wieder Fehlanzeige. Erschöpfung ja, Schlaf nein. Dafür sorgte jetzt der Kaffee.
Hellwach und hundemüde zugleich lag Cotton auf dem Bett, wartete darauf, dass dieser beschissene Tag zu Ende ging und stellte sich immer wieder vor, wie Kyles letzte Minuten ausgesehen haben mochten. Ob der Mörder ihn noch ausgequetscht, womöglich gequält hatte? Ob Kyle ihn erwähnt hatte? Ihn, Cotton?
Schlagartig fiel die Erschöpfung von ihm ab. Cotton sprang aus dem Bett, griff nach seiner privaten Glock 22 und blickte durch einen Spalt der Jalousien aus dem Fenster. Durch die dichten Bäume entlang der Straße
Weitere Kostenlose Bücher