Couchgeflüster
Auf einen Flirt hat der Typ wohl keinen Bock, sonst würde er seine Wurst ja nicht direkt am Tresen verspeisen, sondern sich zu mir stellen.
Schade!, seufze ich still vor mich hin. Im Moment hab ich offensichtlich weder beruflich noch privat Glück. Und dabei hätte mich so ein kleiner Sonntagsflirt ganz wunderbar von meinen Problemen abgelenkt.
Auf der Fahrt nach Wilmersdorf mit meinem klapprigen Golf bin ich immer noch enttäuscht über meine mangelnde Wirkung auf den grünäugigen Typen.
Ob er das weiße Kleid zu spießig fand? Möglich wär’s. Sein starrer Blick wirkte jedenfalls nicht besonders angetan von meinem Outfit. Vielleicht sollte ich doch mehr auf mein Äußeres achten und meine Weiblichkeit mehr betonen, wie Mama immer rät. Blöderweise gibt es sexy Klamotten nicht für lau. Wegen meines finanziellen Engpasses werde ich dieses Thema also notgedrungen zurückstellen müssen.
Ich will gerade tief durchatmen und mich mental auf das Sonntagsessen mit Mama und Phillip einstellen, als mein Wagen auf der Joachimstaler Straße zu stottern beginnt.
O nein, das fehlt mir gerade noch! Der Sprit ist alle. Ich hab mal wieder vergessen, den Kilometerstand aufzuschreiben. Das muss ich nämlich tun, um zu erkennen, wann der Tank leer ist, weil die olle Benzinuhr kaputt ist. Mit dem letzten Tropfen bugsiere ich den Golf in einen freien Parkplatz und steige aus. Der Weg zur U-Bahn -Station Kurfürstendamm wäre weiter, als zu Fuß in die Fasanenstraße zu laufen, wo meine Mutter wohnt. Also spare ich mir die unnötige Ausgabe für ein Ticket, raffe mein Kleidchen und renne trotz steigender Temperaturen los.
Ich bin wild entschlossen, mich nicht zu verspäten und Mama keinen Anlass zum Meckern zu geben.
Angefeuert von einem hupenden Auto und «Kiek-mal-Lola-rennt-wieder-Zurufen», erreiche ich mein früheres Zuhause dennoch zehn Minuten zu spät.
Mama lebt immer noch in derselben Vier-Zimmer-Wohnung, in der auch wir Kinder aufgewachsen sind.
Keuchend drücke ich auf die Klingel. Kurz darauf ertönt das Brummen des Türöffners.
Durchatmen, ermahne ich mich, als ich das herrschaftliche Eingangsportal betrete. Drinnen empfängt den Besucher schwarz-weiße Eleganz aus der Gründerzeit: marmorverkleidete Wände, eingelassene Spiegel und dunkelrote Kokosläufer auf gebohnerten Treppenstufen. Das Treppenhaus wird auf jeder Etage von einem Kronleuchter erhellt. Nach oben gelangt man außerdem mit einem altmodischen Lift, dessen verschnörkelte, schmiedeeiserne Tür noch mit der Hand geschlossen werden muss. Seit einigen Jahrenbleibt der Aufzug aber manchmal zwischen den Stockwerken stecken. Über eine Stunde saß ich mal fest, bis endlich der Mechaniker kam und mich befreite. Seitdem nehme ich immer die Treppe in die dritte Etage.
Mama erwartet mich an der Wohnungstür. Offensichtlich kommt sie direkt aus der Küche, denn am Bund ihrer schwarzen Bundfaltenhose steckt noch ein Geschirrtuch. Sie trägt eine zartbeige Hemdbluse mit kurzen Ärmeln und flache schwarze Slipper. Wie immer sieht sie sehr elegant aus. Auch ihr von wenigen grauen Fäden durchzogenes kastanienbraunes Haar ist perfekt frisiert. In dem Outfit könnte sie auch Patienten empfangen. Denn die honigfarbene Hornbrille auf der zierlichen Nase verleiht ihr genau die Kompetenz, die sie für ihren Beruf braucht, ohne sie aber zu streng aussehen zu lassen.
«Meine Güte, Antonella, du scheinst ja völlig überhitzt zu sein.» Nach meinem Eintreten mustert sie mich vorwurfsvoll. «Bist du etwa von Moabit hierhergerannt?»
Meine Mutter hält sich selten mit zeitraubenden Begrüßungsritualen auf. Sie kommt lieber sofort auf den Punkt.
«Hallo, Mama», erwidere ich genervt, denn sie weiß genau, dass ich meinen vollen Namen ätzend finde. «Ich trainiere für den Stadtmarathon.»
Sie schließt die bleiverglaste Tür, zieht die Stirn kraus und betrachtet mich erstaunt, als sei sie soeben auf eine noch unentdeckte Verhaltensstörung gestoßen. «Hast du nicht gesagt, Sonntag wäre dein freier Tag? Den solltest du aber auch tatsächlich einhalten, Antonella. Der Körper braucht Erholungsphasen. Hoffentlich wird dieses Yoga nicht zur Obsession.»
Lächelnd übergehe ich ihren besorgten Erziehungsversuch und frage nach meinem Bruder. «Ist Phillip schon da?»
«Wo soll er denn sonst sein?», antwortet sie irritiert.
Ach so, stimmt ja. Ich habe ganz vergessen, dass Phillip vor kurzem zurück ins «Hotel Mama» gezogen ist.
«Er hat bereits Platz
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