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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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1. Kapitel
    S ollte er sie jetzt etwa suchen? Auf sein Rufen hatte Milena nicht geantwortet, dabei war sie ganz bestimmt zu Hause. Drinnen oder irgendwo im Garten. Entweder konnte sie ihn nicht hören, oder sie wollte es nicht.
    Patrick Grieger hielt die zweite Möglichkeit für die wahrscheinlichere. Milena schmollte, weil sie sich heute Morgen wieder mal gestritten hatten und er danach einfach abgehauen war. Sie konnte aber auch stur sein. Er hatte ihr schließlich geholfen, als sie nicht mehr weiterwusste, nun war sie an der Reihe, sich ein klein wenig erkenntlich zu zeigen. Was war daran so schwer? An der Loyalität ihrem Vater gegenüber konnte es nicht liegen, dass sie sich weigerte, ihm, Patrick, diesen Gefallen zu tun. Milena hasste ihre Eltern. Der blöde Streit am Morgen war jedenfalls nicht seine Schuld gewesen. Und überhaupt, die seit Tagen andauernde Hitze machte doch alle verrückt. Auf einer Insel in der Ostsee sollte auch im Hochsommer hin und wieder mal eine frische Brise wehen. Wind, wenigstens ein Lüftchen!
    Patrick ließ den Blick noch einmal über den Vorgarten streifen. Die blau gefärbten Tücher seiner Vermieterin, Kunstobjekte – jedenfalls keine Wäsche, da das Zeug seit April unangetastet geblieben war – hingen reglos zwischen den Bäumen. Das Laub der Kastanien sah trocken aus, vereinzelt hatten die Blätter schon eine braungoldene Färbung angenommen. Und das viel zu hohe Gras schien sowieso kurz vor der Selbstentzündung zu stehen. Die Hitze war unerträglich.
    Er wich zurück ins Haus und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Drinnen war es längst nicht mehr so kühl wie zu Anfang der Hitzeperiode, aber draußen war es schier unerträglich. Milena konnte sich doch nicht zur Mittagszeit freiwillig im Garten aufhalten! Na ja, ganz sicher war Patrick sich bei ihr nicht. Sie hatte kurz nach ihrem Einzug ins Haus im hinteren Teil des Grundstücks einen Gemüsegarten angelegt. Im Mai, als es regnerisch und kühl gewesen war, hatte sie mit Energie und Hingabe Grassoden aus dem Boden gehackt und gehebelt, die darunterliegende, dunkelbraune Erde umgegraben und geharkt und dann Fäden gespannt, an denen entlang sie kleine Pflanzen gesetzt oder Saatgut ausgebracht hatte. Erst war er über Milenas Hingabe an das Projekt erfreut gewesen, dann hatte er ihren Eifer etwas seltsam gefunden, und als es so heiß und trocken geworden war, hatte er sie wegen ihrer Wasserverschwendung vor den anderen Mitbewohnern in Schutz nehmen müssen.
    Die ersten von Milena selbst gezogenen Möhren waren nicht länger gewesen als sein kleiner Finger – und nur halb so dick. Und viel mehr kam auch nicht dabei herum. Insgeheim hatte er den anderen Bewohnern recht geben müssen: Milenas Gemüsegarten war Energie-, Zeit- und Wasserverschwendung.
    Vorgestern, nachdem Milena zwei Tage lang vergessen hatte, ihr Beet zu gießen, war sie ob der vertrockneten Salatköpfchen in Tränen ausgebrochen. So viel zum Projekt Gemüseaufzucht. Sie würde doch jetzt nicht wieder von vorn ...?
    Im Haus war sie jedenfalls nicht. Patrick hatte schon in jedes Zimmer gesehen. Sogar in das dunkle Kabuff unter der Treppe hatte er geschaut. Es war der einzige Ort im Haus, wo ihn ein kalter Luftzug gestreift hatte. Eine abgestandene, modrige Kühle. Ungesund und auf eine Art und Weise befremdlich, über die er nicht weiter nachdenken wollte. Wieso sollte es ausgerechnet dort, in dem staubigen Gelass unter der Treppe, kälter sein als anderswo? Das musste er sich eingebildet haben, weil er die alten Geschichten kannte.
    Patrick Grieger mochte das Haus nicht. Im Dorf wurde es wegen seiner Lage in einer Senke und einer lange zurückliegenden Tragödie, die sich hier zugetragen haben sollte, »Mordkuhlen« genannt. Nicht, dass er an Geister oder verfluchte Orte oder solchen Zauber glaubte. Er war Naturwissenschaftler. Für ihn war diese Wohngemeinschaft ein billiges Dach über dem Kopf, mehr nicht.
    Beim Betreten der Küche zog Patrick angewidert die Oberlippe hoch. Im Spülstein stapelte sich schmutziges Geschirr, und die Sprossenzucht auf der Fensterbank verbreitete zusammen mit den Essensresten im Biomüll einen muffigen Geruch. Er öffnete die Küchentür, die in den hinteren Teil des Gartens führte, um zu lüften. Die Hitze traf ihn wie ein Schlag mit einer Bratpfanne. Auf der Südseite des Hauses war es noch wärmer, als er erwartet hatte. Er blinzelte und trat hinaus. Die Sonne stand fast senkrecht am Himmel. Sollte er noch mal nach

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