Cowboy Jim - Alle Geschichten in einem Band
kam er nicht weiter, ohne auf jeder Farm wenigstens einmal übernachtet, zweimal gegessen und alle Tiere besichtigt zu haben. Doch wie überall auf der ganzen Welt gab es auch im Wilden Westen Amerikas Leute, die Cowboy Jim diesen Ruhm und
diese Ehre missgönnten. Sie wurden gelb vor Zorn, wenn sie die kleinen Hufabdrücke Mister Tramps im Präriesand entdeckten, und sie knirschten mit den Zähnen, wenn Jims Lied in den Gasthäusern gesungen wurde.
Einer von ihnen, ein Cowboy mit Namen Luis Gonzales, kam auf den Gedanken, sich zu verkleiden und als Jim auszugeben. Wenn man seine abstehenden Ohren übersah, wenn er seinen roten Haarschopf unter einem Hut verbarg und statt Patronen Blumen in den Pistolengurt steckte, bestand die Möglichkeit, dass man ihn bei raschem Hinsehen von hinten mit Cowboy Jim verwechseln konnte. Er vergrub seine Pistole und besorgte sich eine alte Gitarre. Sie hatte zwar nur noch zwei Saiten, aber weil er nichts davon verstand, beachtete er es nicht. Nachdem er schließlich sein Spiegelbild noch einmal in einer Pfütze betrachtet hatte und nichts an sich auszusetzen fand, machte er sich auf den Weg zu der größten und angesehensten Farm im ganzen Umkreis.
Kaum hatte er die Einfahrt erreicht, das Farmhaus lag noch etliche Lassolängen entfernt, da brüllte er schon los:
»Ich bin Cowboy Jim, Leute! Ich bin der Cowboykönig von Silvertown! Jippih!« Er galoppierte bis dicht vor die Stufen der Eingangstür, bremste sein Pferd so plötzlich, dass es sich aufbäumte, und sprang aus dem Sattel. Da kamen der Farmer, seine Frau, die Kinder und alle Cowboys herbeigerannt, um ihn zu begrüßen. Nur der jüngste Sohn des Farmers hielt sich etwas abseits. Er betrachtete den Fremdling eine Weile, schaute sich das Pferd an, runzelte die Stirn, zupfte schließlich den falschen Jim am Ärmel und fragte so laut, dass es alle hören konnten: »Und wo ist Mister Tramp?« Luis Gonzales erschrak sehr. Das hatte er nicht bedacht. Mister Tramp gab es nur einmal. Ein Pferd lässt sich nicht verkleiden. Auch der Farmer, die Farmerin und alle Cowboys betrachteten jetzt das fremde Pferd genauer. Es war groß und grobknochig. Es hatte ein fuchsfarbenes Fell, vier weiße Beine und einen weißen
Fleck auf der Stirn. Doch Luis Gonzales war nicht dumm.
»Mister Tramp ist mir gestohlen worden«, sagte er und erfand schnell eine Geschichte, wie ihm in der vergangenen Nacht, mitten in der Prärie, sein Pferd abhanden gekommen war und wie er an seiner Stelle eben jenen mageren Fuchs mit den vier weißen Beinen vorgefunden hatte. Mit dieser Erklärung waren alle zufrieden. Der Farmer lud den fremden Gast ein, die Nacht in seinem Haus zu verbringen. Die Farmerin lief in die Küche, um schnell eine Süßspeise zuzubereiten, die Cowboys versorgten das Pferd, und die Kinder ließen ihm keine Ruhe, bis er ein Abenteuer zum Besten gab.
Nun wollte es der Zufall, dass der echte Cowboy Jim gerade an demselben Abend zu derselben Farm kam. Hungrig und müde klopfte er an die Tür und bat um ein Nachtlager.
»Wer bist du?«, fragte ihn der Farmer misstrauisch, denn der Präriestaub ließ nicht viel von Jims Gesicht erkennen.
»Ich heiße Jim, genannt Cowboy Jim.«
»Das kann nicht sein«, sagte der Farmer.
»Warum nicht?«
»Weil dieser Cowboy Jim gerade mit uns zu Abend isst.«
»Dann ist das ein Schwindler«, antwortete der kleine Cowboy.
»Wieso?« Der Farmer wurde langsam ungeduldig.
»Ganz einfach, denn Jim, das bin ich. Hier ist meine Gitarre und mein Pony heißt Mister Tramp.«
Der Farmer betrachtete das kleine Pferd. Das Fell war zottelig und die Ohren etwas zu groß. Die Unterlippe hing ein wenig herunter, und jeder ehrliche Mensch musste zugeben, dass dieses hässliche Pony genauso aussah, wie Mister Tramp immer beschrieben wurde.
Da holte der Farmer den falschen Jim. »Vor der Tür steht ein Mann«, sagte er zu ihm, »der behauptet, Cowboy Jim zu sein. Und sein Pferd sieht aus, als sei es Mister Tramp.«
»Dann ist es sicher der Gauner, der mein Pferd vertauscht hat!«, brüllte Luis Gonzales. Er rannte hinaus und schrie: »Haltet den Dieb! Haltet ihn!«
Doch Jim dachte gar nicht daran wegzulaufen. »Ich bin Cowboy Jim und du bist ein Lügner«, sagte er und blieb dabei.
Jetzt holte der Farmer den Sheriff, und weil der Sheriff auch keinen Rat wusste, nahm er die zwei Jims einfach mit und sperrte sie ins Gefängnis. »Morgen kommt der Friedensrichter«, sagte er, »der wird dann entscheiden, wer von euch
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