CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
1
Alex hätte nicht sagen können, was ihn an diesem Morgen geweckt hatte. Vielleicht dieser seltsame Traum, vielleicht auch seine Mutter, die irgendetwas aus dem Erdgeschoss rief, oder das durchs Fenster hereinflutende Sonnenlicht. Er lag mit einem Schub von Restadrenalin im Bett, als wäre er eben aus einem Albtraum aufgeschreckt – einem Traum, den man beim Aufwachen sofort vergisst, der einem aber noch wie eine zugeknallte Tür im Kopf nachdröhnt. Die Bettdecke hatte sich um seine Beine gewickelt, der rechte Arm lag unter ihm eingeklemmt, war eingeschlafen und kribbelte unangenehm. Alex wälzte sich auf den Rücken.
Wieder hörte er: »Steh endlich auf, sonst kommst du zu spät!«
Zu spät? Wieso? Es war Samstag, er musste nirgendwohin. Sie klang irgendwie komisch, seine Mum … der Tonfall war zwar vertraut (
Gleich reißt mir der Geduldsfaden!
), aber da war noch etwas anderes … War sie gestern Abend, als er nach Hause kam, sauer gewesen? Alex wusste es nicht. Er konnte sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie er zur Tür reingekommen war, aber
dass
er nach Hause gekommen war, lag ja auf der Hand. Er wusste nur noch, dass er um fünf vor zehn bei Davidaufgebrochen und gleich losgerannt war, um nicht nach der vereinbarten Zeit heimzukommen. David und er hatten den ganzen Abend Schach gespielt (er hatte gewonnen), auf YouTube gesurft und
The Killers
gehört. So wie immer.
Er ballte die Faust und öffnete sie wieder. Jetzt spürte er seine Hand wieder, aber der Arm fühlte sich immer noch schwer an, überhaupt waren alle seine Glieder und Gelenke bleischwer, und er hatte einen ekligen Geschmack im Mund. Wäre ja mal wieder typisch, wenn er sich gleich am ersten Wochenende der Weihnachtsferien etwas eingefangen hätte. Aber er fühlte sich nicht
krank.
Er fühlte sich … ach, keine Ahnung. Irgendwie neben der Spur. Ein Fetzen aus seinem Albtraum tauchte auf: eine Leiter oder steile Treppe oder auch eine Böschung, jedenfalls sehr steil … und er kletterte hastig hinauf, weil irgendwas nach seinen Füßen grapschte. Er hatte um sich getreten und dann … Was dann geschah, wusste er nicht mehr. An der Stelle musste er aufgewacht sein. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass sich seine Beine im Bettzeug verheddert hatten.
»
Philip!
Es ist schon fünf nach acht!«
Fünf nach acht? Das konnte nicht sein – so hell, wie die Sonne schien! Eher zehn oder elf. Alex schaute auf den Wecker neben seinem Bett.
Der Wecker war nicht da. Der Nachttisch auch nicht.
Stattdessen war da eine Wand, und die Wand hatte auch keine silberblauen Streifen mehr, sie war einfarbig blassgelb. Jetzt fiel ihm auch auf, dass das Licht von derfalschen Seite kam. Alex setzte sich auf. Das Fenster war nicht dort, wo es hingehörte. Das waren auch nicht seine Vorhänge. Es war nicht sein Kleiderschrank, nicht sein C D-Player , es waren nicht seine Poster (
Basketball? Kricket?
), und der Teppichboden war durch blanke Dielen und einen großen rotgoldenen Teppich ersetzt worden, der aussah wie direkt aus
Aladdin.
Wo waren seine Klarinette und der Notenständer? Wie kam ein Flachbildmonitor auf seinen Schreibtisch (der weder sein Schreibtisch war noch dort stand, wo er hingehörte)? Warum war sein Zimmer auf einmal so groß?
Alex überlegte angestrengt, wessen Zimmer – wessen
Haus
– das hier sein konnte und was in aller Welt er hier zu suchen hatte. Weshalb er statt seines Schlafanzugs ein fremdes T-Shirt trug. Warum im Dezember eine dünne Sommerdecke auf dem Bett lag. Und wessen Mutter die Frau war, die (schon wieder) von unten hochbrüllte. Vermutlich die Mutter von Philip.
Philip!,
schimpfte sie. Sie war ganz offensichtlich sauer auf Philip, nicht auf Alex. Irgendwo nebenan lag Philip und hatte verschlafen. Philip war die Erklärung für alles. Die logische Erklärung. Dad war davon überzeugt, dass es für alles eine logische Erklärung gab, sogar für scheinbar unerklärliche Dinge. Ufos, Geister, Gott – das waren nur Bezeichnungen für Phänomene, welche die Menschen noch nicht richtig begriffen hatten.
Die logische Erklärung lautete folgendermaßen: Auf dem Heimweg von David hatte Alex noch bei Philip vorbeigeschaut und dann beschlossen, bei ihm zu übernachten.Er war ein bisschen benommen aufgewacht, weshalb er sich nicht sofort daran erinnern konnte, wie er hierher gekommen war. So wie man im Urlaub am ersten Morgen aufwacht und sich wundert, dass man in einem fremden Zimmer liegt.
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