Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
1. Die Teilung der Welt
Christian: Mit meinem vollendeten dritten Lebensjahr durfte ich endlich in den Kindergarten gehen. Zusammen mit meiner Mutter – denn sie arbeitete dort als Köchin. Nach meinem fast drei Jahre langen Besuch der Wochen- und Tageskrippe war dies für mich die zweite sozialistische Bildungseinrichtung, die ich völlig kostenlos von morgens 6.30 Uhr bis nachmittags 15.45 Uhr besuchte. Jeden Tag von Montag bis Freitag war ich hier anzutreffen. Monatlich fehlte ich an nur einem einzigen Tag. Meine Mutter nahm dann ihren Haushaltstag und brachte es nicht übers Herz, mich an ihrem freien Tag in den Kindergarten zu bringen. Hatten eigentlich bei euch die Frauen auch einen Haushaltstag?
Daniel: Du meinst einen Tag, an dem sich arbeitstätige Frauen frei nehmen konnten, um Hausarbeiten zu erledigen? Nein, ganz bestimmt nicht. Im Westen waren die Frauen entweder Hausfrauen oder Arbeitnehmerinnen. Die meisten Mütter meiner Schulkameraden waren in den 80ern noch zu Hause und haben sich um die Familie gekümmert.
Christian: Wir wohnten etwa zehn Minuten Fußweg vom Kindergarten entfernt. Der lag mitten in einem soeben entstandenen sozialistischen Wohngebiet. Weil der letzte Parteitag der SED es einstimmig in Berlin beschlossen hatte, wurden zügig überall zwischen Rostock-Warnemünde und Suhl Wohnanlagen mithilfe schnell hochzuziehender Plattenbauten errichtet. Da ich mit meiner Mutter allein lebte, hatten wir keine Chance, eines Tages solch eine Wohnung zu bekommen. Wer von uns beiden sollte die AWG-Stunden ableisten? Wir mussten weiter in einer kleinen Altbauwohnung ohne Kinderzimmer, Toilette und Bad für 20 Mark Monatsmiete wohnen.
Daniel: AWG-Stunden? Okay, jetzt hast du mich das erste Mal ertappt, dass ich einer Abkürzung nicht folgen kann. Ich bin in den 80er Jahren ebenfalls in einer Altbauwohnung aufgewachsen. Bei uns im Westen war das schon damals eher etwas Cooles. Die Fenster in unserem Wohnzimmer waren 90 Jahre alt, handbemalt und standen unter Denkmalschutz! Damit ließ sich angeben, wenn Besuch kam.
Christian: AWG-Stunden? Das waren Arbeitsstunden, die du als normaler Mensch am Wochenende auf dem Bau für die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft leisten konntest. Du hast also praktisch am Bau deines zukünftigen modernen Wohnhauses mitgearbeitet. Kies und Zement in den Mischer schippen und Außenanlagen herrichten, sowie die Fachleute mit Handlangerdiensten unterstützen. Wer die meisten Stunden geleistet hatte, der wurde natürlich bei der Wohnungsvergabe bevorzugt. Dies alles waren für eine alleinstehende Mutter mit einem kleinen Kind ungünstige Umstände. Eine Frau auf dem Bau, das wäre damals eine mittlere Sensation gewesen und wo hätte ich während dieser Zeit bleiben sollen?
Und mit deinen 90 Jahre alten Fenstern brauchst du gar nicht anzugeben, die hatten wir auch. Aber das Holz der einzelnen Flügel war zum Teil so morsch, wenn du da angefangen hast, mit dem Fingernagel dran zu pulen, konnte es gut sein, dass danach ein Loch im Holz war. Ich erinnere mich daran, dass einige Fensterflügel einfach zugenagelt waren, weil keine Haken zum Einhängen der Flügel mehr vorhanden waren und es keine neuen zu kaufen gab. Genauso wenig, wie es oftmals über Monate kein Klopapier gab. So habe ich mir bereits von Kind auf an meinen Hintern am Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands „Neues Deutschland“ gesäubert. Ich sehe mich noch in unserer kleinen Bretterhütte auf unserem Hof sitzen. In unserem kleinen mecklenburgischen Städtchen Schwaan an der Warnow gab es viele Wohnungen ohne Toilette. Im Dunkeln und bei minus 20 Grad Celsius auf den Hof zu gehen und das Bretterhäschen zu besuchen, war kein Vergnügen. Meine erste Wohnung, zu der eine Toilette und eine Badewanne gehörten, bezog ich erst 1994. Und ich kann dir sagen, mein erstes Bad in der eigenen Wanne habe ich mit 31 Jahren stundenlang genossen.
Daniel: Hast du denn vorher nie gebadet? Unsere erste Wohnung hatte natürlich eine Badewanne. Das besondere war später, wenn es auch mal eine Dusche gab.
Christian: Wir hatten eine Zinkbadewanne. In der Woche hing diese im Kohlenschuppen. Samstags nachmittags holte meine Mutter sie herein, machte sie sauber und mit sehr wenig Wasser durfte ich dann im Sitzen baden. Das Wasser war oft nicht sehr warm. Wir hatten zwar ein Waschbecken in der Küche und darüber einen elektrischen 5-Liter-Boiler, aber kippe mal 5 Liter heißes Wasser
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