CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Treppen. Ein Wirrwarr neonbeleuchteter Gänge. Aber der Weg vom Eingang zur Intensivstation war so gut ausgeschildert, dass man sich nicht verlaufen konnte. Die Karte und der Blumenstrauß sorgten dafür, dass seine Hände nicht zitterten. Ab und zu, wenn die Blumen eine Wand oder ein Geländer streiften oder im Luftzug einer geöffneten Tür, fiel ein Blütenblatt ab. Alex stellte sich vor, dass er eine Spur hinterließ, die ihn nachher wieder nach draußen führen würde.
Nur dass er, wenn alles nach Plan verlief, nicht mehr nach draußen musste.
Er
nicht mehr. Bei dem Gedanken wurde ihm ein bisschen schwindelig, seine Füße wurden schwer wie Blei.
Er rechnete damit, jeden Augenblick seiner Mum oder seinem Dad zu begegnen. Oder dass jemand, der ihm entgegenkam, Verdacht schöpfte und Alarm schlug. Aber seine Eltern ließen sich nicht blicken und auch sonst schenkte ihm niemand Beachtung.
Als er die Intensivstation betrat, war er davon überzeugt, dass er sein Glück überstrapaziert hatte. Gleichwürde ihn eine Schwester ansprechen oder sein Dad würde ihn hinter der Schwingtür schon erwarten.
Der Vorraum war menschenleer, ebenso der Flur, der davon abging.
Irgendwo ließ jemand hinter einer Tür Wasser laufen. Alex blieb unschlüssig stehen. Sollte er warten, bis der Betreffende herauskam oder einfach weitergehen und riskieren, ertappt zu werden? Er ließ es drauf ankommen und ging weiter. Die Tür blieb zu, der Wasserhahn lief. Die nächste Tür stand offen, dahinter sah man ein Wartezimmer mit gepolsterten Stühlen und einem Tee- und Kaffeeautomaten. Dort saß jemand und las im
Telegraph.
Er hielt die aufgeschlagene Zeitung vors Gesicht, sodass Alex nur seine Hände, die Stirn und die Beine sah.
Aber das reichte, um ihn wie angewurzelt stehen bleiben zu lassen. Die entzündeten Ellbogen, die ausgefransten Lederjackenärmel … die unnatürlich gelben, stachelig abstehenden Haare.
»Was zum …«
»Mann, das hat ja ganz schön lange gedauert.« Rob ließ die Zeitung sinken.
24
Rob sprang auf, zerrte Alex ins Wartezimmer und schloss die Tür. Blumenstrauß und Karte flogen in hohem Bogen davon, Blütenblätter rieselten auf den Boden. Alex wehrte sich, wollte die Tür aufreißen, aber Rob zog ihn mit beiden Armen an sich, drückte ihn auf einen Stuhl und hielt ihm den Mund zu.
»Mach bloß keinen Lärm«, zischte er und drückte mit der anderen Hand gegen Alex’ Brust, damit er nicht aufstehen konnte. Er deutete mit dem Kinn auf die Tür. »Oder willst du, dass jemand reinkommt?«
Alex wehrte sich nicht mehr. Rob ließ ihn los, richtete sich auf, strich seine Kleidung glatt und inspizierte eine kleine Schürfwunde an seiner Hand. Er musste irgendwo entlanggeschrammt sein. Dann ging er zur Tür, öffnete sie einen Spalt, spähte nach draußen, schloss sie wieder und setzte sich Alex gegenüber. Zwischen ihnen stand ein niedriger Tisch mit Zeitschriften und einer kitschigen grünen Vase mit vermutlich künstlichen Blumen.
Alex fragte ärgerlich: »Wie bist du hergekommen?«
»Genau wie du. Mit demselben Zug nach Leeds, mit demselben Zug nach King’s Cross, mit derselben U-Bahn nach Crokeham Hill. Natürlich nicht im selben Wagen, ist ja klar, aber …«
»Ich habe im Haus gewartet, bis du weggefahren bist.«
»Schon, aber ich hab nur um die Ecke geparkt und gewartet, dass du wieder rauskommst.«
»Woher …«
»Woher ich Bescheid wusste? Das war ja nicht so schwer!« Rob beugte sich vor, als wäre die Vase ein Mikrofon und er wollte sichergehen, dass man ihn auch verstand. »Du hast gesagt, du willst dich sehen. Weshalb hätte irgendetwas, was letzte Nacht oder heute Morgen passiert ist, deine Meinung ändern sollen?«
Alex schüttelte den Kopf. Sein Blick fiel auf den Blumenstrauß und die Karte auf dem Boden und er hob beides auf. Die Karte war zerknickt. Er strich sie einigermaßen glatt.
»Außerdem hätte ich an deiner Stelle dasselbe getan«, setzte Rob hinzu.
»Du musst mich wirklich hassen.« Alex verglich das Gesicht seines Gegenübers mit dem Rob, der ihn damals angesprochen hatte, am Musikpavillon, an dem Morgen vor ihrer Spritztour nach Scarborough. Sein neuer Freund, wie er damals geglaubt hatte. Eine verwandte Seele. »Machst dir so einen Stress, nur um mich davon abzuhalten …«
»Was dich hierhergetrieben hat, ist dasselbe, was mich immer wieder nach Manchester treibt – wir PEs sind wie Junkies, süchtig nach unserem alten Leben. Nach unserem alten
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