Credo - Das letzte Geheimnis
Dies, so dachte er, war keine sonderlich verantwortungsbewusste Herangehensweise bei seinen Ermittlungen.
Er umging die Rasensprenger, erreichte den Haupteingang des Blockhauses und betrat den ehemaligen Handelsposten. Licht und Musik drangen aus dem Aufenthaltsraum rechts von ihm. Er ging hinein. Die Leute spielten Karten oder Schach,lasen oder arbeiteten an Laptops. Hier, abseits der Brücke, wirkten sie beinahe entspannt.
Hazelius persönlich saß am Klavier. Seine spinnendürren Finger hüpften noch ein paar Takte lang über die Tasten, dann stand er auf. »Wyman, herzlich willkommen! Das Essen ist fast fertig.« Er kam Ford auf halbem Weg durch den Raum entgegen, nahm ihn beim Arm und führte ihn zum Speisesaal. Die anderen erhoben sich und folgten ihnen gemächlich.
Ein massiver Tisch aus Kiefernholz mit Kerzen, Silberbesteck und frischen Blumen nahm die Mitte des Raums ein. In dem ummauerten Kamin brannte ein Feuer. Navajo-Teppiche hingen an den Wänden; Nakai-Rock-Stil, vermutete Wyman anhand der geometrischen Muster. Mehrere Weinflaschen waren bereits geöffnet worden, und der Duft von gegrilltem Steak trieb aus der Küche herüber.
Hazelius gab den geselligen Gastgeber, geleitete Leute zu ihren Plätzen, lachte und scherzte. Ford führte er zu einem Stuhl in der Mitte, neben einer gertenschlanken blonden Frau.
»Melissa? Das ist Wyman Ford, unser neuer Ethnologe. Melissa Corcoran, unsere Kosmologin.«
Sie gaben sich die Hand. Üppiges, blondes Haar fiel ihr über die Schultern, und ihre hellgrünen Augen, wie Strandglas, musterten ihn neugierig. Die Stupsnase war mit Sommersprossen gesprenkelt; eine mit Perlen bestickte Indianerweste, schlicht, aber schick, passte gut zu der einfachen Kombi aus Hose und Bluse. Doch auch Corcorans Augen waren ein wenig blutunterlaufen und gerötet.
Der Platz neben ihr am Tisch war noch frei.
»Bevor Sie sich auf Wyman stürzen«, sagte Hazelius zu Corcoran, »würde ich ihm gern die anderen vorstellen, die er vorhin noch nicht kennengelernt hat.«
»Nur zu.«
»Das ist Julie Thibodeaux, unsere Quantenfeldtheoretikerin.«
Gegenüber am Tisch warf eine Frau Ford ein knappes »Hallo« zu, bevor sie ihren gereizten Monolog wieder aufnahm, der dem weißhäuptigen, koboldähnlichen Mann neben ihr galt. Thibodeaux kam dem Stereotyp der klassischen Wissenschaftlerin sehr nahe: unscheinbar, übergewichtig, in einen schmuddeligen Laborkittel gehüllt und mit kurzem, strähnigem Haar, offensichtlich schon länger nicht mehr gewaschen. Zwei Kulis in einer Plastikhülle, die aus ihrer Kitteltasche ragten, vervollständigten die Karikatur. In ihrem Dossier stand, sie leide an einer psychischen Erkrankung mit der Bezeichnung »Borderline-Persönlichkeitsstörung«. Ford war gespannt, wie sich so etwas manifestierte.
»Der Herr, der sich gerade mit Julie unterhält, ist Harlan St. Vincent, unser Elektroingenieur. Wenn Isabella mit voller Kraft läuft, ist Harlan zuständig für die neunhundert Megawatt Energie, die sich wie die Niagarafälle in unsere Maschine ergießen.«
St. Vincent erhob sich und streckte die Hand über den Tisch. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Wyman.« Als er sich wieder setzte, nahm Thibodeaux augenblicklich ihren Sermon wieder auf, der sich offenbar um etwas namens Bose-Einstein-Kondensat drehte.
»Michael Cecchini, unser Feld-Wald-und-Wiesen-Teilchenphysiker, sitzt hier drüben.«
Ein kleiner, dunkler Mann stand auf und streckte die Hand aus. Ford drückte sie und betrachtete dabei die auffällig ausdruckslosen, dunkelgrauen Augen. Der Mann sah aus, als wäre er innerlich tot – und der Händedruck wirkte genauso: klamm und leblos. Aber als wolle er dem Nihilismus im Kern seines Wesens trotzen, hatte Cecchini sich geradezu pedantisch um sein Äußeres bemüht. Sein Hemd war so leuchtend weiß, dasses blendete, die Bügelfalte in seiner Hose war messerscharf, und sein Haar war mit militärischer Präzision gescheitelt und gekämmt. Sogar seine Hände waren makellos, so weich und sauber wie frischer Teig, die Nägel perfekt gefeilt und glänzend poliert. Ford erschnupperte den Hauch eines teuren After shaves. Doch nichts konnte die Aura existenzieller Verzweiflung überdecken, die an ihm klebte.
Hazelius beendete die Vorstellungsrunde und verschwand in der Küche, und sogleich stieg der Lärmpegel an.
Ford hatte Kate immer noch nicht gesehen. Er fragte sich, ob das Zufall sein konnte.
»Ich glaube, mir ist noch nie ein Ethnologe begegnet«, sprach
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