Credo - Das letzte Geheimnis
Kaffee?«
Seine Sekretärin kam herein. »Guten Morgen, Reverend!«, sagte sie fröhlich. Ihr auftoupiertes Haar, grau wie Rauhreif, wippte und glitzerte in der Morgensonne. Sie stellte ein Tablett vor ihn hin: silberne Kaffeekanne, Tasse, Zucker, Kaffeesahne, ein Keks mit Macadamianüssen, seine Lieblingssorte, und eine frisch gebügelte Ausgabe der
Virginia Beach Daily Press
.
»Schließen Sie die Tür, wenn Sie gehen.«
Nachdem die beiden gegangen waren, goss Spates sich in Ruhe einen Kaffee ein, lehnte sich im Sessel zurück, hob die Tasse an die Lippen und genoss den ersten bitteren, köstlichen Schluck. Er ließ die Flüssigkeit im Mund hin und her fließen, schluckte, atmete tief aus und stellte die Tasse ab. Dann griff er nach der Mappe mit den E-Mails. Jeden Tag sahen Charles und dessen drei Gehilfen Tausende eingegangener E-Mails durch, suchten jene heraus, deren Absender bereits eine Spende ab der »1000 Segnungen«-Ebene geleistet hatten oder dazu bereit schienen, außerdem die Mails von Politikern, Geschäftsleuten und anderen wichtigen Verbindungen, die gepflegt werden wollten. Diese Mappe enthielt die Ausbeute, die eine persönliche Antwort erforderte, für gewöhnlich einen Dankesbrief für Geld oder eine Bitte um Geld.
Spates nahm die erste ausgedruckte E-Mail vom Stapel, überflog sie, kritzelte eine Antwort darauf, legte sie beiseite, griff nach der zweiten und arbeitete sich so durch den ganzen Stapel.
Nach fünfzehn Minuten traf er auf eine E-Mail, die Charles mit einem Klebezettel versehen hatte.
Sieht interessant aus,
stand da. Spates knabberte an seinem Keks und las.
Lieber Reverend Spates,
gelobt sei Jesus Christus. Mein Name ist Russ Eddy, und ich bin der Pastor der Gathered in Thy Name Mission in Blue Gap, Arizona. Seit ich die Mission 1999 gegründet habe, verkünde ich die Frohe Botschaft hier im Navajo-Land. Wir sind eine sehr kleine Mission – genau genommen gibt es hier nur mich.
Ihre Predigt über das Isabella-Projekt war bei mir ein Volltreffer, Reverend. Ich sage Ihnen auch, warum. Isabella ist unsere Nachbarin – sie liegt hier oben auf der Red Mesa über mir, ich kann den Berg von meinem Fenster aus sehen, während ich Ihnen das schreibe. Ich habe mir von meinen Schäfchen schon einiges darüber anhören müssen. Es gibt eine Menge hässlicher Gerüchte. Und ich meine
wirklich
hässlich. Die Leute haben Angst; sie fürchten sich davor, was die da oben treiben.
Ich will nicht noch mehr Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch nehmen, Reverend – ich wollte Ihnen nur dafür danken, dass Sie den Kampf für das Gute aufgenommen haben und die Christen überall im Land auf diese gottlose Maschine hier draußen in der Wüste aufmerksam machen. Bitte weiter so.
Christliche Grüße
Pastor Russ Eddy
Gathered in Thy Name Mission
Blue Gap, Arizona
Spates las die E-Mail einmal, dann noch einmal. Er leerte seine Tasse, stellte sie auf das Tablett, drückte den Daumen auf denletzten feuchten Kekskrümel und leckte ihn ab. Dann lehnte er sich nachdenklich zurück. In Arizona war es jetzt Viertel nach sieben. Pastoren auf dem Lande standen doch früh auf, oder?
Er griff zum Telefon und wählte die Nummer, die am Ende der E-Mail stand. Es klingelte mehrmals, dann meldete sich eine schrille Stimme.
»Pastor Russ.«
»Ah, Pastor Russ! Hier spricht Reverend Don T. Spates von
God’s Prime Time
in Virginia Beach. Wie geht es Ihnen, Pastor?«
»Sehr gut, danke.« Die Stimme klang zweifelnd, ja sogar argwöhnisch. »Was sagten Sie, wer Sie sind?«
»Reverend Don T. Spates! Von
God’s Prime Time!
«
»Oh! Reverend Spates! Das ist ja eine Überraschung. Sie haben meine E-Mail also gelesen.«
»Allerdings. Sie war
sehr
interessant.«
»Danke, Reverend.«
»Bitte, nennen Sie mich Don. Also, ich denke, Ihre Nachbarschaft zu dieser Maschine, Ihr Zugang zu dem wissenschaftlichen Experiment, das könnte ein Geschenk Gottes sein.«
»Warum denn das?«
»Ich brauche jemanden, der mir Insider-Informationen darüber liefern kann, was da draußen vorgeht, jemanden vor Ort. Vielleicht ist es Gottes Wille, dass Sie diese Quelle werden. Er hat Sie schließlich nicht umsonst dazu bewegt, diese E-Mail zu schreiben, Russ. Habe ich nicht recht?«
»Ja, Sir. Ich meine, nein, das hat Er nicht. Ich höre mir jeden Sonntag Ihre Predigt an. Wir haben hier draußen keinen Fernsehempfang, aber ich habe eine High-Speed-Internet-verbindung via Satellit und schaue mir den Podcast auf Ihrer Website an, jede
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