Creepers - Der Fluch der Hexe
in diesem Moment hatte sie nur Augen für den Sarg in der Erde. Dad ließ das Stemmeisen fallen und nahm stattdessen Moms Hand.
»Heißt das, Prudence war überhaupt nie auf dem Friedhof begraben?«, fragte Mom. Ihr Gesicht war sorgenvoll verzogen.
Mr. Geyer schüttelte den Kopf und hielt kurz inne, als würde er die Puzzleteile im Geiste zusammenfügen. »Nein. Prudence wurde durchaus auf dem Friedhof begraben. Wir haben Dokumente gefunden, die das belegen. Deshalb haben wir ja überhaupt gesucht …« Seine Stimme verlor sich. Er wandte sich Margaret zu. »Christian hat sie ausgegraben und hier beerdigt, auf Geheiß der Hexe. Sie schien zu befürchten, dass die Bewohner der Stadt Prudence’ Grab schänden würden.«
Ich dachte an die Szene, die sich vor wenigen Stunden unter meinem Fenster abgespielt hatte – wie Prudence durch den Garten sprang, während die Hexe im Dunkel der Bäume lauerte. Die Hexe hatte die Arme nach ihr ausgestreckt, allerdings nicht, um sie zu bedrohen. Die Mutter hatte ihre Tochter lediglich zu sich gerufen, wie ein unartiges Kind.
Ich sah wieder Margaret an. »Du siehst aus wie Prudence«, murmelte ich. Margaret legte den Kopf schräg und lächelte mich an, als wollte sie sagen: Hmmmm?
Dann trat Mr. Geyer zwischen uns, um sich an Mom und Dad zu wenden. »Wenn es euch nichts ausmacht, Jen und Tom, würde ich Prudence gern zu einem angemessenen Zeitpunkt im Wald bei ihrem Vater begraben.«
»Weißt du denn, wo er begraben ist?«, fragte Dad. »Natürlich werden wir euch gern helfen, eure Familie wieder zuvereinen.« Mom blickte zu ihm auf, um ihn flüchtig anzulächeln.
Als Mr. Geyer zögerte, hörte ich, wie meine eigene Stimme sich einmischte.
»Ich weiß, wo Christian begraben ist«, sagte ich zögerlich, weil mir die Erkenntnis gerade erst gekommen war. Alle Blicke richteten sich auf mich. »Ich habe gesehen, wie die Hexe im Wald eine Stelle mit Efeu ausgelegt hat. Ich kann euch zeigen, wo es ist.« Mir fielen Moms und Dads schockierte Gesichter auf.
»Was meinst du damit, du hast die Hexe gesehen?«, fragte Dad entsetzt.
»Courtney, du bist wirklich ein Segen«, sagte Mr. Geyer warmherzig, als hätte er Dad gar nicht gehört. »Ich wäre dir überaus dankbar, wenn du uns morgen früh zu der Stelle führen könntest. Aber jetzt sollten wir uns alle erstmal ein wenig ausruhen.«
Kapitel 13
A n diesem Morgen waren wir alle bei Sonnenaufgang auf den Beinen, weil keiner von uns ein Auge zutun konnte, nachdem wir Prudence’ Grab entdeckt hatten.
Wir saßen am Küchentisch, als wir Mr. Geyer und Margaret im hinteren Garten entdeckten. Feine Nebelschwaden hingen wie Spinnenweben über den Zweigen der Bäume und breiteten sich als Flecken von Tau über den Rasen. Margaret hatte ihr Haar zu Zöpfen geflochten und trug ihre weißen Stoffschuhe. Ich machte mir Gedanken, wie dreckig sie wohl werden würden, wenn wir durch den Wald zu Christians Grab trotteten. Sie muss bemerkt haben, wie wir alle stumm aus dem Fenster starrten, denn sie winkte mir schüchtern zu.
Mr. Geyer machte eine eigenartige Verneigung. Er sah zufrieden aus, wie er dort stand, in einem seiner zahllosen Ensembles aus kariertem Hemd und kurzer Hose. Aus der Entfernung wirkten seine Knie knorrig. Einen Augenblick langdachte ich, ich müsste weinen. Er wirkte mit einem Mal so verletzlich.
Dad unterbrach das Schweigen. »Ist das überhaupt rechtmäßig, was wir hier tun?«, fragte er, während er sich über seine Tasse mit schwarzem Kaffee beugte. Sein Gesicht wirkte wie abgeschrubbt, befreit vom Dreck und Schweiß der vergangenen Nacht. »Ich meine, wir sind im Begriff, eine Leiche auszugraben und sie im Wald zu beerdigen. Sollten wir nicht vielleicht die Polizei rufen oder so was?«
Bevor ich irgendetwas entgegnen konnte, gab Mom ein missbilligendes Geräusch von sich. »Natürlich ist es rechtmäßig. Es ist das, was sie wollen.« Ihre Lippen spannten sich bei dem Versuch, ihren Namen auszusprechen. »Prudence sollte überhaupt nicht in unserem Keller sein.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Nun, im Wald sollte sie eigentlich auch nicht sein«, erwiderte Dad. Er warf einen Blick hinaus zu Mr. Geyer und Margaret. »Es kommt mir so vor, als wäre das letzte Nacht alles nur ein Traum gewesen.« Seine Stimme klang ein wenig beunruhigt. »Ich meine«, er stotterte beinah, »sind diese Leute überhaupt echt?«
»Natürlich sind sie echt!«, explodierte ich, mit einem Mal panisch, weil ich sie für einen kurzen
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