Crime
Strohhalm geworden. Er sitzt in der Falle; an das Fenster gedrückt, das viel zu klein ist, um eine Flucht ins ewige Vergessen des Himmels zu ermöglichen. Er schaut auf seine aktionsunfähige, bandagierte rechte Hand herunter, ein Beutel zertrümmerter Knöchel, Fingerglieder und Mittelhandknochen. Wie viel mehr ging noch, wie lange würde es dauern, bis beide Fäuste beim Versuch, ein Loch in dieses Flugzeug zu schlagen, zu blutigem Brei geworden sind? Zwischen ihm und dem Mittelgang sitzt erst Trudi, dann eine hagere ältere Frau mit messerscharfen Gesichtszügen und knochigen Händen. Er inhaliert die muffige, trockene,recycelte Luft im Flieger. Die Haut der alten Schachtel ist wie geschmolzener Kunststoff. Als wäre sie durch die Klimaanlage ausgetrocknet. Sie hat orange Flecken. Er fragt sich, um wie viele Stunden ein Acht-Stunden-Flug einen altern lässt. Trudi soll nicht wissen, dass er nur wenige Tabletten dabeihat, dass er vorhat, sie in Miami abzusetzen.
Trudi senkt ihre Stimme.– Ich mache es, wenn du willst, Ray. Wenn du das wirklich möchtest …
Er hebt den Plastikbecher an den Mund und trinkt ein Schlückchen Wodka. Seine Hand zittert. Dann sein Körper. Wie viele armselig bemessene Portionen aus diesen kleinen Flaschen wird er brauchen, bis das aufhört, bis das weggeht?– Die Sache ist die …, gelingt ihm zu krächzen.
– … denn ich will dich auf diese Art befriedigen, Ray, ehrlich, sagt sie eindringlich und vielleicht eine Idee zu laut. Sie hat in der Flughafenbar einige Drinks gekippt, die in Kombination mit dem Wein und der Flughöhe langsam Wirkung zeigen. Sie wendet sich an die alte Dame neben sich, und die beiden wechseln ein zuckersüßes Lächeln und stellen sich einander vor.
Lennox ist in Gedanken bei dem Verbrechen. An seinem Schreibtisch, an dem Morgen, an dem er davon hörte …
Ein Ellbogen stößt ihm in die Rippen. Trudis Stimme nun ein gedämpftes Flüstern. Ein hauchzarter Flaum über ihren pink-glossigen Lippen.– Es hat mich bloß zuerst schockiert. Ich musste mich erst an den Gedanken gewöhnen, dass du als normaler, männlicher, heterosexueller Mann auf diese Weise … penetriert werden willst …
Lennox stärkt sich mit einem weiteren Schluck Bloody Mary. Ist schon fast alle.– Ich würde nie was von dir verlangen, wobei dir nicht wohl ist, sagt er und ringt sich ein schales Lächeln ab.
– Du bist ein Schatz, sie küsst ihn auf die Wange, der Kuss einer Tante, denkt er. Sie hält die Perfect Bride bei einer Seiteoffen, die eine Einladung zu einer fiktiven Hochzeit in unterschiedlichen Schrifttypen zeigt.– Wie findest du die hier für unsere Einladungen? Ihr langer Fingernagel pocht auf einen Entwurf im Stil von Charles Rennie Mackintosh.
Als Lennox einen Blick darauf wirft, kommen gewisse kleinliche Ressentiments in ihm hoch.– Schmeckt zu sehr nach Glasgow. Er zeigt auf das in Fraktur gesetzte Beispiel.– Die gefällt mir besser.
– Um Gottes willen, auf gar keinen Fall!, schnaubt sie und lacht:– Du bist ja völlig verrückt, Raymond Lennox! Das sieht aus wie ne Todesanzeige! Ich bin doch nicht Frankensteins Braut. Sie reißt den Blick los und füllt ihr Weinbecherchen auf.– Ein Glück, dass du mich die Hochzeit organisieren lässt. Ich wage gar nicht dran zu denken, was für ein Witz daraus würde, wenn du das in der Hand hättest. Sie wendet sich an die alte Dame, deren impertinent fröhliches Lächeln Lennox allmählich auf die Nerven geht.– Männer! Ehrlich! Zu nichts zu gebrauchen!
– Hab ich schon immer gesagt, feuert sie die alte Tante auch noch an.
Sie widmen sich mit vereinter Begeisterung dem Inhalt der Zeitschrift, und Trudi beschreibt verzückt ihr Hochzeitskleid, während Lennox sich die paar Extra-Zentimeterchen in der sogenannten Liegestellung gönnt, weil ihm fast die Augen zufallen. Kurz darauf ist er im Geiste wieder bei dem Verbrechen. Seine Gedanken sind wie ein Erdrutsch: Sie scheinen sich zu setzen, aber urplötzlich sind sie wieder in Bewegung, bergab, auf ein einziges Ziel hin. Das Verbrechen. Alles stürzt immer wieder unerbittlich auf das Verbrechen zu.
Du nahmst den Anruf am Morgen an.
An deinem Schreibtisch in dem kleinen, nüchternen Büro im Edinburgher Polizeipräsidium in Fettes. Ein frostiger Mittwoch im späten Oktober, dein klägliches Usambaraveilchen siechte auf der Fensterbank bei schlechtem Licht und Kälte vor sich hin, und die laute Zentralheizung, die aus Sparsamkeitsgründen immer
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