Crime
sein Unbehagen gar nicht mit. Ein manikürter, lackierter Fingernagel schlägt eine Magazinseite um. Neben ihr wieder ein Körper. Und überall um sie herum– noch mehr Körper.
Erst jetzt, hier, eingepfercht in der Holzklasse des Fliegers zwischen London und Miami, kapiert er, was für einen Spruch Bob Toal ihm auf seinen stressbedingten Zwangsurlaub mitgegeben hatte. Die Durchsage zur Flughöhe bringt ihn darauf.
Wir haben nun unsere Reisehöhe von zweiunddreißigtausend Fuß erreicht.
Du bist ein Überflieger, Ray, hatte Toal gesagt, während Ray auf die schwarzen Haare starrte, die seinem Boss aus der Nase wuchsen. Der kommende Mann. Es war ein grauenhafter Fall, aber du hast dich gut gehalten; hast das Arschloch hinter Schloss und Riegel gebracht. Klappe zu, Affe tot. Spann mal so richtig aus. Denk an die Zukunft. Viele von uns haben darauf gesetzt, dass du Karriere machst. Enttäusch uns nicht, Junge. Wir wollen doch nicht, dass du endest wie Robertson, hatte er gesagt; er meinte den Selbstmord von Lennox’ ehemaligem Mentor. Stürz uns bloß nicht ab.
Und Ray Lennox– bleichgesichtig, abgehärmt und glatt rasiert, sein Markenzeichen, die in die Augen hängenden Ponyfransen, bei John’s in der Broughton Street der Schere zum Opfer gefallen, um nun eine kurze, fliehende Stirn freizugeben– spürt, wie sich sein Puls jäh beschleunigt.
Wir kommen nun in ein Gebiet mit Turbulenzen. Bitte bleiben Sie sitzen und lassen Sie die Sicherheitsgurte geschlossen .
Bloß nicht abstürzen.
Gefahr. Bedrohung.
Am Flughafen hatten sie ihn verhört wie einen Schwerverbrecher. Er sah seinem Passfoto kein bisschen ähnlich. Das aschfahle Grau seines schottischen Teints war von der altersschwachen Technik des Passbildautomaten unbarmherzig verstärkt und in einen harten Kontrast zu seinen dichten, rabenschwarzen Haaren, Brauen und Bart gesetzt worden. Auf dem Bild wirkte der Look irgendwie maskenhaft, wie Geisterbahn. Jetzt sind von allem nur noch Rekrutenstoppeln übrig, die den Schädel bedecken und im Halbkreis zu seinem Unterkiefer verlaufen.
Er hatte sich von der Flughafen-Security schikaniert gefühlt, immerhin war er selbst Polizist, aber sie hatten ja recht, doppelt vorsichtig zu sein. Sein Dienstausweis von der Lothian Police hatte ihm geholfen, den Miniaturstaat zu passieren, den die Amerikaner in Heathrow errichtet hatten, um schon im Vorfeld ihre Grenzen zu schützen.– Tut mir leid, Sir, schlimme Zeiten, hatte der Officer der Homeland Security entschuldigend erklärt.
Nun suchte Ray Lennox aufmerksam die Kabine ab. Vorne war nichts Beunruhigendes zu sehen. Keiner, der aussah wie von al-Qaida. Aber der Typ da sieht aus wie ein Inder. Moslem? Wahrscheinlich eher ein Hindu. Vielleicht auch aus Pakistan. Lass das. Er selbst war Weißer, aber kein Christ. Offiziell war er Mitglied der Church of Scotland, aber religiös nur, wenn er ein Flugzeug bestieg. Der Getränkewagen kam langsam näher– so langsam, dass er gar nicht daran denken wollte. Er drehte sich um und verrenkte den Hals, um die Mitreisenden hinter sich sehen zu können. Nichts Auffälliges: sonnenhungrige Urlauber. Ein Billigflug eben.
Neben ihm, kühl-distanziert: Trudi, das Haar straff zurückgekämmt und mit einer schwarzen Klammer gebändigt. Ihre dunklen, tief haselnussbraunen Augen verschlingen schon beinahe psychotisch die Perfect Bride , in der sie mit ihren roten Nagelextensions blättert.
Alle Mädchen träumen davon, an ihrem großen Tag die perfekte Braut zu sein: eine echte Märchenprinzessin.
Die Kleine etwa auch?
Ach was, das kleine Würmchen doch nich …
Turbulenzen rütteln das Flugzeug durch, und unter diesen vollen Breitseiten öffnen sich Ray Lennox’ Schweißdrüsen, da ihm schlagartig bewusst wird, dass er mit sechshundert Meilen die Stunde in einer Metallröhre sechs Meilen über dem Ozean unterwegs ist. Ein Tropfen im Meer: Nur ein Stecknadelkopf, der darauf wartet, in Vergessenheit zu sinken. Er betrachtet Trudi, die vollkommen unbeeindruckt ist, ihr Mund ein schmaler, scharlachroter Strich– sie zuckt nur geringschätzig mit einer dünn gezupften Braue. Als wäre eine Flugzeugkatastrophe nichts weiter als eine lästige Störung der Hochzeitsvorbereitungen.
Das Rütteln der Boeing747 nimmt wieder ab, während es mit donnernden Triebwerken durch den Äther geht. Dasdurchdringende Dröhnen im ganzen Flugzeug permanent in den Ohren. Volle Kraft voraus. Hinein in die Schwärze, die alles ist, was die Piloten
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