Cristóbal: oder Die Reise nach Indien
Sprache übersetzen.»
Dem Wunsch des Koadjutors wurde stattgegeben. Man gründete eine Akademie, die (hauptsächlich) aus Dichtern, aber auch aus Gärtnern, Musikern, Kirchenmännern, Ärzten bestand. Um Zeit zu gewinnen, scherten sie sich nicht mehr um die Bezeichnungen der Eingeborenen. Künstler zeichneten die Neuheiten, die in Lissabon an Land gingen, so genau wie möglich, dann wurde ihnen ein Name gegeben.
Anfangs waren die Sitzungen öffentlich. Ich habe keine einzige versäumt.
Einen Namen zu vergeben war fast so, als hauchte man Pflanzen und Tieren, obwohl die einen schon verwelkt und die anderen schon im Zustand fortgeschrittener Verwesung waren, noch einmal Leben ein. Diese Auferstehung dauerte nur so lange, bis der Urkundenschreiber die ausgewählte Bezeichnung notiert hatte. Danach konnte der Tod sein Werk vollenden.
Bald mischte sich das Publikum in die Namenswahl ein. Vonden Tribünen, wo man sich drängte, brüllte es zu den Mitgliedern der Akademie hinunter.
So wurde ein Baum mit rotem Holz, von dem die Wilden sagten, er werde
Zaminguila
genannt, aus unerfindlichen Gründen
Mahagoni
getauft.
Und eine große Robbe, die die Seeleute in einem riesigen Becken mitgebracht hatten und deren Lamentieren herzzerreißend war, wurde aus diesem Grund
Lamantin
genannt, während die afrikanische Silbenfolge, welche an nichts erinnerte, keinen Anklang fand.
Wieder geriet man in Verzug. Daraufhin wurde von höchster Stelle und zu meinem großen Bedauern die Öffentlichkeit von den Sitzungen ausgeschlossen. Ich tröstete mich (mehr schlecht als recht) damit, dass ich regelmäßig das Wörterbuch durchblätterte, das von den neu entdeckten Dingen immer mehr anschwoll.
Jetzt, da Ihr an Bord meiner wahren Geschichte gekommen seid, wage ich es, Euch zu gestehen, dass diese sich von Lügen nährt: Unter unseren Händen entstanden zwei Sorten von Karten.
Die ersten waren vom König bestellt zu seinem und seiner Flotte alleinigem Gebrauch. Was bedeutet, dass sie so nahe wie möglich an die Wirklichkeit heranreichten.
Jeder Kapitän, der in den Hafen einlief, kam sofort zu uns und berichtete von seiner Reise. Selbst seine Familie ließ er warten. Unsere Karten profitierten daher von den jüngsten Erkenntnissen. Fast verströmten sie noch den beißenden Atem dieser Seemänner, so schnell übertrugen wir die allerneuesten Hinweise, die sie uns gaben: «Nach Kap Juby, genau dahinter, liegt eine Kette von Riffen, vor denen man sich in Acht nehmen muss.» – «Auf der Höhe von Kap Blanc treibt einen eine schreckliche Strömung in eine Untiefe…»
Wenn die Aussagen von zwei Kapitänen über diesen oder jenen Küstenabschnitt voneinander abwichen, rief Andrea sie zusammen. Sie kamen angekrochen, denn viel zu groß war ihre Befürchtung, der König könne sie von der Liste streichen. Sie erklärten ihre Aussagen, und der entsprechende Teil der Karte wurde unter ihrer gemeinsamen Verantwortung neu erstellt. Solche Prozeduren helfen der Verständigung.
Doch einem Seemann, der nicht mehr genau weiß, was er gesehen hat, wird niemand aus unserer Zunft je einen Vorwurf machen. Ohne zu murren kramt der Seefahrer in seinem Gedächtnis,er öffnet Euch sein Bordbuch, hält nichts zurück und tut sein Bestes, da der König es fordert. Aber die Wirklichkeit, die er beschreiben soll, ist die veränderlichste von allen. Wer will da Genauigkeit, Gewissheit von ihm verlangen? Er beobachtet von einem Schiff aus, das seinen Kopf seit Wochen durchgeschüttelt hat, Gischt und Nebel rauben ihm die Sicht, die Gezeiten betrügen ihn, seine Augen täuschen ihn, die Wilden bedrohen ihn. Es ist ein Wunder, dass er uns überhaupt halbwegs brauchbare Angaben machen kann.
Ja, ein Hoch auf die Beobachtungsgabe der Seefahrer! Nichts verschafft mehr Seelenruhe als das Kartenlesen. Folgt man dem Verlauf der Linien, erscheint einem die Welt so einfach, so festgefügt, so sicher. Wer würde da an die Rückseite dieser Karten denken, an ihre Kulissen, ihre Eingeweide, die Anstrengungen, die es kostete, um zu diesem einfachen Strich zu gelangen, die Befragungen, Nachforschungen, Schlussfolgerungen, Vergleiche…?
Ebenso sorgfältig, vielleicht noch sorgfältiger ausgearbeitet waren die anderen Karten. Jene, die unseren Feinden, unseren Konkurrenten um die Beherrschung der Welt geliefert wurden. In erster Linie sind hier unsere spanischen Nachbarn zu nennen.
In Lissabon habe ich gelernt, dass die Lüge die Tochter der Wahrheit ist.
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