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Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Titel: Cristóbal: oder Die Reise nach Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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Universums steuerte: Gott persönlich. Wer die größte Anzahl von Frauen an einem Ort versammelt sehen wollte, musste wieder die Kirchen aufsuchen. Mit dem Risiko, grausam enttäuscht zu werden, Silhouetten zu begegnen, die von hinten vielversprechend aussahen, die jedoch von vorn ein ledernes, gelbliches, von den Furchen des Alters durchpflügtes Gesicht zeigten. Doch ich habe mich umgehört damals, und daher weiß ich, dass sich diese düsteren Aussichten in Lissabon weniger häufig bewahrheiteten als anderswo in der Christenheit. Andauernd stachen Schiffe in See, entführten also einen sich fortwährend erneuernden Schwall junger Seemänner in die Ferne. Ihre nicht weniger jungen Ehefrauen hatten keinen anderen Zeitvertreib, als beten zu gehen. Sie schlossen sich also dem Schwarm der verlassenen Ehefrauen an, denen in früheren Zeiten dasselbe widerfahren war – seit einen gewissen Heinrich, verflucht sei er, die Schrulle gepackt hatte, ein bis dahin höchst häusliches Volk in ein Volk von Seefahrern zu verwandeln.
    In der Kirche mischten sich also alle Altersgruppen. Man brauchte nur nach derjenigen fischen, die den eigenen Vorstellungen entsprach.
    In Santa Maria Madalena, einer Hochburg der Weiblichkeit, machte ich Bekanntschaft mit Meister Júdice. Was war das Geheimnis dieses Mannes? Gewiss, er war eine ansehnliche Erscheinung, sein Gesicht wirkte edel, und seine fleischigen Lippen drückten aus, dass er in jeder Hinsicht naschhaft war. Doch was machte seine unwahrscheinliche Anziehungskraft aus? Kaum hatte er sich auf seinem Betstuhl niedergekniet, stellten die Frauen tausenderlei Dinge an – sie rollten die Augen, husteten laut, ließen das Messbuch fallen –, um auf sich aufmerksam zu machen. Und wenn die Messe zu Ende war, drängten sie sich auf dem Kirchplatz um ihn, damit sie ihm die Hand reichen, seine Schulter berühren, seine Wange tätscheln konnten. Sie maunzten, «erinnert Ihr Euch an mich?», schalten ihn, «Schurke, Ihr habt mich vergessen», und bettelten, «wann darf ich Euch besuchen? Oh, bitte!»
    Er bemerkte meinen neidischen Blick, lachte, machte sich losund kam zu mir. Mein Gesicht muss ihm gefallen haben, die Farbflecken an meinen Fingerspitzen ebenso.
    «Kartograph, stimmt’s? Ihr kommt gerade recht. Ich habe vielleicht einen neuen Beruf für Euch.»
    Er fasste mich am Arm und zog mich zum Platz des Infanten, ins Gasthaus
Vinho Verde,
wo er Stammgast zu sein schien.
    Ich konnte meine Neugier nicht länger bremsen.
    «Was ist Eure Methode… mit den Frauen, meine ich?»
    «Ich bin ihnen nützlich.»
    Meine Augen müssen geglänzt haben, denn er fuhr fort.
    «Nicht so, wie Ihr meint. Wenigstens nicht direkt. Ich bin der Advokat des Mangels. Und du, junger Mann, lieber huren oder lieber forschen?»
    Ich sah ihn verständnislos an. Gutmütig, geduldig und umsichtig erklärte er mir, dass sich die Männer, welche Frauen lieben, seiner Erfahrung nach in zwei Kategorien einteilen lassen: Die einen hurten herum, die anderen ergründeten das weibliche Geschlecht. «Natürlich verachten manche Hurenböcke es nicht, ein wenig Forschung zu treiben, und umgekehrt. Aber im Grunde sind beide völlig verschieden: Die Hurenböcke erfreuen sich allein der Körper, während die Forscher vor allem die Heimlichkeiten der Frauen auskosten. Sie finden das größte und stets neue Vergnügen daran, die Lebensweise der Frauen zu erkunden, die so verschieden von der unseren ist wie die der wilden Antipoden – wir zeugen gemeinsam Kinder, aber wir sind wie Tag und Nacht.» Er für seinen Teil bekenne sich offen zu der letzten Kategorie, und es reize ihn ungeheuer zu erfahren, wie die Frauen sich zum Beispiel die Fußnägel schneiden oder wie sie sich die Intimbereiche parfümieren und, vor allem, wie sie untereinander von jener anderen Spezies Mensch, den Männern, sprechen.
    «Und, mein junger Freund, zu welcher Kategorie gehört Ihr?»
    Ich gestand, ich sei so schrecklich schüchtern, dass ich gewiss Jahrzehnte der Erkundung bräuchte, bis ich es wagen würde, mit einer Frau zu schlafen, die keine Prostituierte wäre.
    «Ihr kommt gerade recht! Ihr seid also von meiner Art, einForscher. Ich suchte einen Gefährten. Die wenigen Männer, die noch in Lissabon sind, nutzen den Glücksfall und rennen von einem Beischlaf zum nächsten, ohne zu merken, dass sich jetzt wie nie zuvor die Gelegenheit bietet, in das Reich der Frauen einzudringen. Da liegen die wahren Entdeckungen! Und man braucht keine Karavellen

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