Cristóbal: oder Die Reise nach Indien
waren wohl die Bücher seine Schiffe, Schiffe mit einer unsichtbaren Besatzung, von der nur der Kapitän, ihr Verfasser, in Erscheinung trat. Doch auch sie brachten Schätze mit, die allerdings nicht in ihrem Schiffsbauch, sondern zwischen ihren Seiten lagerten.
Zwei Unterschiede gab es jedoch: Diese Schiffe, die Schiffe vom Festland, machten nur eine einzige Reise. Und wenn sie ihre Geheimnisse preisgegeben hatten, versperrten sie nicht die Kais, sondern ruhten brav in Regalen wie müde Tauben auf ihren Sitzstangen.
Durch die Begegnung mit Menschen, die nach Wissen fieberten wie mein Bruder nach Seereisen, drängte sich mir die Frage auf: War es für den menschlichen Geist nicht das Wichtigste, dass er von dieser Art Fieber ergriffen war, und war der Grund für das Fieber nicht bedeutungslos?
Und eine weitere Frage, die für das brüderliche Band zwischen Cristóbal und mir noch gefährlicher war als die erste: Warum eigentlich nicht?
Warum eigentlich nicht Medizin?
Ein fröhliches Trio von Medizinstudenten, meine Trinkgefährten, drängte mich dazu. Bier für Bier stellte ich mir vor, wie ich in die Geheimnisse des Körpers eintauchte, ein entzückter Betrachter von Frauen, die notwendigerweise entkleidet waren, da sie ja geheilt werden sollten. Dann wurde ich unter dem Beifall meinerFreunde, mit Hilfe des Biers, zum Ritter, den Gott auserkoren hatte, um die Grenzen des Todes hinauszuschieben.
Zweimal schleppte mich das Trio zum Sargträger, wo diese jungen Leute anscheinend ein- und ausgingen. Gegen klingende Münze bekamen wir von dem tüchtigen Mann Leichen. Ihnen verdanke ich, dass ich lernte, wie man einen Bauch aufschneidet, wie man die Rippen aufsägt, um sich des Herzens zu bemächtigen, wie man ein Glied aufschneidet, um dem Mysterium der Männlichkeit auf die Spur zu kommen. Wir brachten immer Bier mit und becherten. Die ganze Nacht stießen wir darauf an, wie geschickt wir als künftige Chirurgen sein würden. Gibt es danach etwas Schöneres, als sich unter Freunden zu übergeben? Pech für den offenen Leichnam, wenn niemand mehr imstande war, ihn wieder zuzunähen.
Warum eigentlich nicht Botanik?
Es war der Morgen nach einem Saufgelage. Ich wanderte mit kleinen, sehr kleinen Schritten in der Gegend umher, um nach den Auflösungserscheinungen des Vorabends wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ein blasser und schlanker junger Mann bewegte sich vornübergebeugt die Felder entlang.
Ich fragte ihn, ob er Hilfe benötige und welcher Art seine scheußliche Krankheit sei, ob sie angeboren oder die Folge eines Unfalls sei.
Wunderbarerweise richtete er sich auf und schwenkte einen Korb, aus dem Stängel und Blätter ragten.
«Ich herbarisiere.»
«Ihr scheint sehr gelassen zu sein auf diesem Planeten, auf dem jeder zappelt.»
«Das liegt am Anblick oder vielmehr an der Gesellschaft der Pflanzen. Sie werden geboren, sie lieben und sterben genau wie wir. Doch sie tun es still.»
«Gut, aber es muss schrecklich langweilig sein als Pflanze! Die Füße gezwungenermaßen immer in derselben Scholle.»
«Täuscht Euch nicht. Pflanzen wandern umher.»
Ich war einsichtig. Ich erinnerte mich an die ulkigen Reusen voller Pflanzen, die die Seefahrer mitbrachten.
Wir plauderten, bis es dunkel wurde, die meiste Zeit vornübergebeugt, um das eine oder andere bemerkenswerte Exemplar aus der zahllosen Familie der Pflanzen zu pflücken.
Seitdem begleitet mich das Bedauern darüber, dass ich mit diesen Lebewesen nicht vertrauter geworden bin, die ebenso lebendig sind wie wir, aber viel würdevoller in ihrem Schweigen.
Ich könnte die Liste mit den «Warum eigentlich nicht?»-Fragen fast endlos fortsetzen. Löwen vereinigte so viel Wissen und so viele vergnügte junge Leute, um es zu erkunden, und alle liebten das Bier. Und weiter? Wie sollte man zwischen all den Kapiteln der Wissenschaft wählen, zwischen all den möglichen Lebenswegen? Warum eigentlich nicht die Chemie, die den geheimen Anziehungskräften der Materie auf der Spur ist? Warum nicht die Physik, die die Bewegung der Körper erklärt? Warum nicht die Astronomie, die nach der Logik in den Grillen der Sterne sucht?…
Johannes van Westfalen hatte das Werk sofort gefunden, die
Ymago mundi,
für die ich auf Geheiß meines Bruders nach Löwen gekommen war und die eine solch bedeutende Rolle in der Geschichte der Ausdehnung der Welt spielen sollte. Nachdem ich meinen Auftrag erfüllt hatte, hätte ich unverzüglich nach Lissabon
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