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Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Titel: Cristóbal: oder Die Reise nach Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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druckt, zufällig das Werk
Ymago mundi
des Bischofs von Ailly?»
    Es hieß, man habe von diesem Buch schon gehört, angeblich ein Wissensschatz ohnegleichen, doch gesehen habe man es noch nie.
    Wie zur Entschuldigung wollte man mir unbedingt die letzten Erzeugnisse der Werkstatt zeigen. Und ich musste Abbitte tun für die Geringschätzung, mit der ich gekommen war: Manche gedruckten Werke standen unseren illuminierten Handschriften in nichts nach.
    Kaum hatte ich die herrliche Bibel erwähnt, die mein portugiesischer König besaß, wurde ich mit Büchern überschüttet. Die beiden Helfer im Laden waren zu den Bücherregalen geeilt. Sie kamen mit vollen Armen zurück:
    «Was sagt Ihr zu dieser?»
    «Nein, ich glaube, dem jungen Herrn gefällt diese hier besser!»
    Sie schubsten sich gegenseitig weg, um mir ihre Bibeln zu zeigen, und beschimpften sich.
    Einige Bibeln waren einfach, unscheinbar, mit schwarzen, etwas verschmierten Buchstaben auf schlechtem, grauem Papier. Andere dagegen waren echte Meisterwerke, in drei Farben illuminiert, umbrochen wie die Frontgiebel von Kirchen…
    Wie den Bibeln entkommen?
    So wie die Geschichten in der Heiligen Schrift immer wieder neue Geschichten hervorbringen, so scheinen auch Bibeln neue Bibeln und immer wieder neue Bibeln zu zeugen. Vielleicht werden Bibeln eines Tages, wenn sie durch diese magischen Druckmaschinen endlos vervielfältigt worden sind, die ganze Welt überschwemmen und die Menschen unter sich ersticken? Ich hütete mich, diese stark ikonoklastischen Gedankengänge auszusprechen.
    Vorsichtig, und nicht ohne meine Ehrfurcht vor den heiligenTexten, gelobt seien sie, beteuert zu haben, erkundigte ich mich, ob sie noch andere Druckwerke vorrätig hatten.
    «Aus welchem Gebiet? Unser Katalog wird von Monat zu Monat größer.»
    Ich stammelte das Wort
Wissenschaft.
    Die beiden jungen Leute verzogen das Gesicht, offensichtlich waren sie enttäuscht: Sie hatten geglaubt, meine Hauptsorgen gälten erhabeneren Dingen. Sie kramten in einem Nebenraum und brachten mir, weit von sich gestreckt, als stänken sie, Veröffentlichungen, die, wie sie meinten, meinen Interessen mehr entsprachen. Ich will es nicht verschweigen, sie handelten von der Mechanik unserer Körper.
    Ich erinnere mich an zwei Kalender: Der eine verzeichnete den günstigsten Rhythmus für Aderlässe, der andere bot, gestützt auf lange Betrachtungen über den Lauf der Sterne, dieselbe Art von Ratschlägen für Abführmittel. Die deutschen Titel sind noch in meinem Gedächtnis:
Aderlasskalender
und
Laxierkalender.
    Ich bekundete mein Interesse, drückte so höflich wie möglich meinen Dank aus und ging zur nächsten Druckerei. Wo sich dieselben Szenen wiederholten.
    Ich war schon drauf und dran, alle Hoffnung zu verlieren, dass ich Cristóbal das gewünschte Werk besorgen könnte, als ein Verkäufer von Heilkräutern, der zufällig in einem der Geschäfte war und meine Frage gehört hatte, mir sagte, er habe die
Ymago
einmal in den Händen gehalten und erinnere sich, auf dem Umschlag «Löwen» gelesen zu haben.
    Ich schimpfte auf meinen Bruder: Ich musste also noch weiter in den Norden.
    Unzufrieden mit meinem Los, aber schicksalsergeben machte ich mich auf den Weg. Cristóbal war der Ältere. Gott hatte gewollt, dass ich der Jüngere war, und mich dem Willen meines Bruders unterworfen. Zweifellos würde die Aufteilung unter uns künftig so aussehen: für ihn das Meer, für mich die Landstraßen. Für ihn die Seefahrt, den Wind, die Seeluft, die weiten Horizonte. Für mich den zweifachen Staub der Wege und der Bücher, dieAtemnot derjenigen, die sich zwischen zwei Buchdeckeln verstecken – und sich dort oder in untergeordneten, aber notwendigen Aufgaben einsperren lassen.

 
     
     
     
    Wenngleich unser Hauptgeschäft in Lissabon die Kartographie war, handelten wir auch, wie alle unsere Konkurrenten, mit Büchern. Das schönste unter allen
gedruckten
Werken, die uns in die Hände gekommen waren, stammte aus dieser geheimnisvollen Stadt Löwen. Normalerweise freuen sich die Händler, wenn sie rasch einen Käufer finden. In diesem Fall bedauerten wir es. Kaum hatten wir den kleinen Band erhalten, tauchte ein Liebhaber auf, der irgendwie davon erfahren hatte. Andere folgten, die enttäuscht wieder von dannen gingen, da wir das Buch schon verkauft hatten. Sicher hatte es daran gelegen, dass der Titel zugkräftig war:
De duobus amantibus.
Das Buch enthielt anstößige Seiten, die ich sehr genossen habe.

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