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Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Titel: Cristóbal: oder Die Reise nach Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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(ich) trotz Filipas Eintreffen einen Ehrenplatz in seinem Herzen hat.
    Während ich solcherlei Gedanken eines getrösteten Eifersüchtigen wälzte, nahm ich Meister Andrea gegenüber den Wunsch nach einer Pilgerreise zum Vorwand, um mich bereits am folgenden Tag auf den Weg nach Norden zu begeben. Nicht ohne Angst. Ich hatte immer am Wasser gelebt. Und von Genua nach Lissabonwar ich entweder entlang dem Mittelmeer gereist oder hatte Spanien mit einem Stück Küste als Ziel vor meinen Augen durchquert.
    Dieses Mal schien es mir, als würde ich mich mit jedem Schritt, den ich mich weiter von der Küste entfernte, vom Leben losreißen. Ich erwartete nur Trübsal und Not.
    Wie kann man sich frei fühlen, wenn man fern vom Meer lebt?, fragte ich mich. Wie frei atmen, wenn einen einfach nur Land umgibt? Kein Wunder, wenn die dort Gefangenen, diese Unglücklichen, die mitten in Wäldern und auf Feldern leben, rastlos Bücher hervorbringen. Wenn man kein Schiff hat – oder vielmehr kein Wasser, um darauf zu fahren –, ist das Buch die einzige Form der Flucht.
    Ich hatte beschlossen, meine Nachforschungen in Straßburg zu beginnen, dem Ursprungsort jener neuen Industrie, die man Buchdruck nannte.
    Allerdings hatte ich noch fast keines der so entstandenen Bücher gesehen, und ich zweifelte an ihrer Qualität. Aber ich wusste, dass diese Technik den Priestern das Leben bereits erheblich erleichterte.
    Vielleicht hast du, Bruder Hieronymus, das Prinzip jener
Confessionalia,
Bußbücher oder Indulgenzbriefe vergessen? Ich habe eine erfreuliche Veranlagung deines Charakters bemerkt: Du hältst mühelos alle Unannehmlichkeiten von deinem Geist fern. Ich muss daher dein Gedächtnis auffrischen. Da sich Christus und die Heiligen nie den kleinsten Fehltritt zuschulden kommen ließen, haben sie einen Gnadenschatz angesammelt. Warum sollte dieser nicht gehorsamen Christen zugutekommen, die dennoch arme Sünder sind wie alle Menschen? Die Kirche, gelobt sei sie, hatte also die Idee, Ablassbriefe an Gläubige zu verkaufen; im Gegenzug wurden diesen ihre Sünden verziehen.
    Sie hätte aber viel mehr Gewinn aus dem Handel ziehen können, wenn die Abfassung der Indulgenzbriefe nicht so lange gedauert hätte: Jedes Mal mussten die Priester das ausführliche Formular neu abschreiben. Ohne diese Sorgfalt hätte der Käuferihnen nicht getraut. Dessen Forderung war verständlich: Es ging um die Eintrittskarte ins Paradies!
    Alle Methoden zur Reproduktion von Ablassbriefen waren willkommen. Möge also die Erfindung des Buchdrucks die Zahl der Ablässe erhöhen, die Gelder unserer Mutter Kirche mehren und ihr auf diese Weise ermöglichen, Armeen und Flotten aufzustellen, um zu gegebener Zeit die Türken wirksam abwehren zu können!
    Doch ein Meisterwerk, das sich der geschickten Handhabung des Bleis verdankte und mit denen vergleichbar wäre, die aus den Fingern unserer Illuminatoren stammten, das wollte ich erst einmal sehen; ich erwartete jedenfalls keine Wunder.
    Ich will mich nicht beim Verlauf dieser Reise aufhalten. Ich habe zu viel zu erzählen in der wenigen Zeit, die mir noch bleibt. Ihr sollt nur wissen, dass ich Geschmack daran fand, durch diese Länder zu reisen. Beim Blick in die Ebenen ließ meine Sehnsucht nach der großen wogenden Gegenwart des Meeres nach. Zeigen sie uns nicht lange, erstarrte Wellen, zeugen sie nicht vom Willen Gottes, für diesen Teil seiner Schöpfung alle Bewegung des Horizontes anzuhalten?
    Schließlich erhob sich ein langer Pfeil aus rotem Stein in den Himmel, und die fliegenden Händler, die mit mir unterwegs waren, sagten, es handele sich um das Münster.
    Im Grunde hatte ich eine andere Art Hafen erreicht, einen Ort, an dem nicht Schiffe losmachten, sondern Bücher. Und wenn man es genau bedenkt, gleichen sich Schiffe und Bücher darin, dass sie beide der Entdeckung dienen. Ich bat einen vorbeikommenden Abt, mir den Weg ins Viertel der Buchdrucker zu weisen.
    In der Rue aux Ours reihten sich die Werkstätten aneinander, und man schien Tag und Nacht zu arbeiten: Der neuen Industrie mangelte es nicht an Aufträgen.
    Ich klopfte an die erste Tür. Man begrüßte mich freundlich. In der Herberge hatte ich dafür gesorgt, dass mein Gesicht wieder ansehnlich aussah. Meine Jugend und der fremdartige Akzenttrugen wohl zum guten Eindruck bei, den ich machte. Ich stellte mich als Portugiesen vor, der im Auftrag der Königlichen Mathematiker-Kommission unterwegs sei.
    «Befindet sich unter den Büchern, die Ihr

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