Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
Vom Netzwerk:
es sich leicht mit ihrer Meinung, dass Schwarze, da sie von der anderenSeite der Erde kamen, einen verkehrten Blick hätten, das heißt, dass sie alles auf dem Kopf stehend sähen. Die anderen, erfindungsreicher, schworen, dass das Auge des Schwarzen die Pforte zum Paradies sei: Der Blick, der uns treffe, sei infolgedessen gereinigt von einer Unschuld, die aus den Zeiten vor Evas Sünde stamme. Und Gott in seiner grenzenlosen Liebe habe gewollt, dass diese Unschuld bei den Schwarzen durch denselben Kanal hervorquelle, der bei den Weißen mit Tränen gefüllt ist. Das führe bei den Schwarzen zum Ausdruck ständiger Freude in ihrem Blick. Das Schamgefühl der Frauen könne im Umgang mit besagter Unschuld folglich nur gewinnen. Die restlichen Doktoren, es waren die meisten, verbrachten Stunden damit, zahllose Gründe anzuführen, warum man niemals Gewissheit in dieser Frage erlangen könne.
    Erbost entließ Ze Miguel sie schließlich. Und beschloss, seine Untersuchungsmethode radikal zu ändern.
    Der folgende Monat zählte zu den köstlichsten, die unser Advokat je erlebt hat. Er wählte zehn Sklaven jeden Alters, die schon lange genug bei uns gewesen waren, um sich in unserer Sprache deutlich ausdrücken zu können. Jedem stellte er drei Prostituierte vor, die er aufgrund ihrer übermäßigen anatomischen Ausstattung ausgesucht hatte.
    Und die sorgfältige Untersuchung, die sich anschloss, ist heute bei allen Professoren der Universitäten von Salamanca, Paris, Montpellier, Louvain berühmt als mustergültiges Modell einer wissenschaftlichen Studie.
    Er ließ diese Damen sich entkleiden, sodann rief er die Sklaven einen nach dem anderen herbei.
    «Beschreibe!»
    «Alles?»
    «Alles, was du siehst.»
    Ze Miguel hatte beschlossen, alles persönlich aufzuschreiben, was er zu Ohren bekam, während ein Zeichner den Körper der Frau malte, doch nicht nach der Natur, sondern nach der Beschreibung der Sklaven.
    Vier von ihnen, ob sie heuchelten oder wirklich entsetzt waren (woher sollte man das bei den frischgebackenen Katholiken schon wissen?), hielten sich anfangs die Augen zu und brüllten, der Teufel führe sie in Versuchung. Damit keine wertvolle Zeit mit allzu langen Erklärungen verloren ging, wurden sie ausgepeitscht. Nach dieser Behandlung beruhigten sie sich schnell und beschrieben, während sie sich wieder und wieder bekreuzigten, bis in die kleinste Einzelheit das Schauspiel aus Haut und Haar, das ihnen geboten wurde.
    Nach vier Wochen Arbeit kehrte Ze Miguel in den erzbischöflichen Palast zurück. Er glaubte, er könne sich damit begnügen, seinen Bericht abzugeben. Doch Seine Exzellenz der Erzbischof wollte sich mit ihm unterhalten. Dieselben Wachen führten ihn durch dieselben langen Flure in dasselbe fensterlose kleine Zimmer, in dem dasselbe Trio, der Prälat und die beiden Kopfnicker, auf ihn wartete.
    «Nun, mein Sohn, welche Schlussfolgerung zieht Ihr aus Euren Untersuchungen?»
    Ze Miguel versuchte auszuweichen, sich hinter dem Schriftstück zu verstecken. Doch man blieb ihm gegenüber so beharrlich und war so ungeduldig, dass er schließlich gestehen musste:
    «Es steht schlecht.»
    «Darf ich fragen, womit?»
    «Es steht schlecht um die Züchtigkeit: Ich behaupte, die Schwarzen sehen genau dasselbe wie wir.»
    «Ich habe es gewusst», murmelte der Erzbischof und bekreuzigte sich.
    Infolge dieser Untersuchung wurden die Beichtväter angewiesen, sich nicht mehr mit den eingestandenen Verfehlungen zufriedenzugeben, sondern selbst Fragen zu stellen:
    «Wem zeigst du dich, meine Tochter?»
    Selbst wenn die Antwort «niemandem» lautete, wurde ihnen empfohlen, beharrlich zu bleiben.
    «Verstehst du unter , dass niemand mehr im Zimmer ist, wenn du dich ausziehst?»
    Nun musste die Beichtende, wollte sie sich nicht der Lüge schuldig machen, gezwungenermaßen zugeben, dass eigentlich immer ein oder zwei Sklaven bei ihr im Badezimmer zugegen waren, um sie zu massieren oder ihr bei den Waschungen zu helfen, und dass sie sogar in ihrem Schlafzimmer blieben, um nächtliche Angriffe abzuwehren.
    «Oh, meine Tochter…»
    Die Erkenntnis aus Ze Miguels Arbeiten, dass die mit den Karavellen herbeigeschafften Afrikaner dieselben Augen haben wie wir, hatte nicht immer die erhoffte Auswirkung. Manche ehrbaren Frauen bekamen, kaum dass sie über die visuellen Fähigkeiten ihrer Sklaven im Bilde waren, rückwirkend vor Scham eine Gänsehaut und verbannten ihre Leibwachen für immer aus ihrem Zimmer. Anderen, und

Weitere Kostenlose Bücher